Arabien in vorislamischer Zeit

Der letzte Prophet Muhammad (sav) wurde der Menschheit als „Segen für die Welten“ gesandt. Um die offenbarte Religion, die er verkündet hat und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft begreifen zu können, ist es notwendig, sich Wissen über die wesentlichen Grundzüge, über ethnische, geografische, soziale, kulturelle, wirtschaftliche und über religiöse Besonderheiten anzueignen, in welche der Prophet hineingeboren und in welchen er herangewachsen ist.

Die Erörterung dieser Gegebenheiten, welche das Wesen der islamischen Gesellschaft unmittelbar beeinflussten, wird uns einerseits behilflich sein, die Stellung von Muhammad (sav) in der Gesellschaft, in der er 40 Jahre vor seiner Prophetie lebte, zu begreifen. Andererseits wird uns die Dimension der Wandlung und Umwandlung der Gesellschaft, die durch die Verkündung des Islams bewirkt wurde, vermittelt. Die vorislamische Zeit (Dschahiliyya), welche in der muslimischen Geschichtsschreibung immer genau datiert und in den Geschichtsbüchern vor der „Sira“ (Prophetenbiografie) ihren Platz einnimmt, bildet ihren untrennbaren Bestandteil.

Die religiöse Lage der Araber vor dem Islam

Die Auskünfte über die Religion der Araber vor dem Islam beruhen hauptsächlich auf Inschriften und archäologischen Befunden aus Nord-und Südarabien. Inhaltlich gehen diese Dokumente weniger auf Themen wie Glaubensfundamente, Gottesdienste oder Bittgebete ein. Sie enthalten stattdessen Informationen über Götter- und Götzennamen.

Weiterhin können in Bezug auf die Religion der Araber in vorislamischer Zeit neben dem archäologischen Material auch assyrische, hebräische, griechische und lateinische Quellen - einschließlich Gedichten und Redewendungen der Dschahiliyya, die unmittelbar Kenntnisse über die vorislamische arabische Gesellschaft geben, herangezogen werden. Abgesehen von diesen begrenzten Quellen, begegnet man besonders im Koran, in der Koranexegese (Tafsir), der Überlieferung (Hadith), der Prophetenbiografie (Sira) und ebenso in der Geschichtsschreibung authentischen und detaillierten Informationen, die über die Glaubensgrundzüge der polytheistischen Araber in vorislamischer Zeit und der ersten Epoche des aufblühenden Islams berichten.

Heidentum

Obwohl es unter den Arabern in vorislamischer Zeit verschiedene Glaubensrichtungen wie Judentum, Christentum, Zoroastrismus, Sabismus und Hanifentum (Gläubige, die den monotheistischen Glauben, den Abraham verkündet hatte, beibehielten und schon vor Muhammad (sav) an die Einheit Allahs glaubten) gab, war zweifellos die Götzendienerei am meisten verbreitet. Dieser Glaube, welcher allen voran das Bekenntnis der Beduinen bildet, repräsentiert den eigentümlich ältesten und primitivsten Glauben der Semiten. Es besteht die Ansicht, dass der Polytheismus bei den Arabern erst nachträglich eingeführt wurde und die Araber anfänglich die Existenz Gottes nicht geleugnet hatten, im Laufe der Zeit aber aus Furcht vor der Erhabenheit Gottes dachten, dass sie nur durch Vermittler zu Gott gelangen könnten und sich deshalb Götzen aneigneten. Demzufolge wäre die Einführung der Götzendienerei in Arabien fremden Ursprungs.

Diese Behauptung stützt sich auf eine These, die besagt, dass die Mekkaner den „Glauben an die Einheit Gottes“ (Tawhid) im Wesentlichen während der Errichtung der Kaaba durch den Propheten Abraham kennengelernt haben. Abraham und sein Sohn Ismael sollen, als sie Mekka verließen, (Bau-)Steine von der Kaaba abgelöst und mitgenommen haben. Indem sie diesen für sie heiligen Steinen einen besonderen Respekt entgegenbrachten, entfernten sie sich damit von ihrem ursprünglichen Glauben.

Die Zeit, in der diese Steine verehrt wurden, fällt nach islamischem Kalender in das dritte Jahrhundert, als der Stamm Huzaa die Herrschaft über Kaaba und Mekka hatte. Den Überlieferungen zufolge hat der Stammesführer der Huzaa, Amr b. Luhay, der zum Handel nach Damaskus ging, von dort einen Götzen namens Hubal nach Mekka mitgebracht. Er stellte ihn in den Innenhof der Kaaba und lud das Volk ein, den Götzen anzubeten. Der Polytheismus, der somit seinen Weg in die arabische Halbinsel fand, verbreitete sich wenig später und wurde innerhalb kurzer Zeit zu einem herrschenden Mehrheitsglauben. Die Anzahl der Götzen, die zur Kaaba gebracht wurden, nahm in kürzester Zeit zu, sodass jeder Stamm, ja sogar jede Familie, eigene Götzen besaß. Zu der Entstehungszeit des Islam gab es den Überlieferungen zufolge in diesem Gebiet 360 Götzen. Die berühmtesten unter ihnen trugen die Namen Hubal, Isaf und Naila. In Wad und Hidschaz gab es weitere drei Göttinnen - Lat, Manat und Uzza -, die als „Töchter Gottes“ galten.

 Die Anzahl der Götzen in der Umgebung der Kaaba und die Bedeutung, die ihnen zugeschrieben wurde, änderten sich von Stamm zu Stamm. Alle Stämme respektierten jedoch alle Götzen. Obwohl die Araber der Dschahiliyya Götzen anbeteten, glaubten sie dennoch an einen erschaffenden Gott, den sie „Allah“ nannten und als höchstes Wesen annahmen. Die Tatsache, dass es auch Anhänger der Religion von Abraham, die Hanif, gab, wird als Beweis für die Existenz des Eingottglaubens angeführt.

In den ersten Jahren nach christlicher Zeitrechnung war dieser Glaube besonders in Südarabien anzutreffen und gelang womöglich durch Handelswege nach Mekka. Auffällig ist, dass dieser Glaube auch in den Gedichten der Dschahiliyya erscheint, wo der Begriff „Rahman“ als Ausdruck für „Allah“ steht. Da „Rahman“ aber nie im Plural gebraucht wurde, geht man davon aus, dass es den einzigen Gott bezeichnet.

Wie auch im Koran hervorgehoben beteten die arabischen Polytheisten die Götzen nur an, um durch sie näher zu Allah zu kommen (Koran: 39/3). Sie waren sich dessen bewusst, dass die Bewässerung der Felder durch Regenwasser, die dadurch hervorkommende Ernte und der Viehbestand eine Gabe Allahs waren. In der Periode der Not und Knappheit wandten sie sich an Allah, den sie als „Schöpfer aller Wesen“, „Herrn der Welten“ und „Besitzer von Himmel und Erde“ anerkannten und in dessen Namen sie ihre wichtigsten Eide ablegten. Sie spendeten ihm sogar einen Teil ihrer Erträge. Wenn Gefahr drohte, riefen sie ihn an, und später vergaßen sie seine Existenz wieder. Sie widmeten ihren Götzen Opfergaben, beteten aber zugleich zu Allah. All dies weist darauf hin, dass das Gottesverständnis der Araber, der Dschahiliyya mehrdeutig und unklar war, was wiederum eine Art Religionskrise widerspiegelt.

Obwohl die Götzen eigentlich nur eine Vermittlerrolle innehatten, beherrschten sie dennoch das Alltagsleben und wurden zu einem dominierenden Element des praktizierenden Glaubens.

Die Errichtung eines Tempels war in der Dschahiliyya ein Resultat der Götzendienerei und von großer Bedeutung. Bald besaß jedes Haus einen Götzen, zudem wurden vor der Kaaba und vor den Fassaden der Tempel Steine aufgestellt. In den Gebetsstätten, in denen sich die meisten Götzen befanden, fanden kollektive Gottesdienste statt. Die Gottesdienste wurden vollzogen, indem die Steine umrundet wurden (Tawaf). Um den gottesdienstlichen Bedürfnissen der Beduinen zu entsprechen, wurden an Orten, an denen übernachtet wurde, zur Verrichtung der Gottesdienste Zelte aufgestellt. Die Tempel wurden größtenteils „Bayt“ genannt, diejenigen in Form eines Kubus nannte man „Kaaba“. Der Riyam-Tempel in der Umgebung von Sana in Jemen gehörte in der Dschahiliyya zu den bekanntesten Tempeln.

Der wesentliche Zweck der Gottesdienste war das Erreichen profaner Ziele. Die Gebetsform im Tempel bestand aus Bittgebet, Anbetung und Umrundung (Tawaf), nebenbei aus Opfer- und Almosengaben. Im Allgemeinen wurden die Götzen um Hilfe und Fürbitte für Wünsche wie Gesundheit, Reichtum, Triumph und Kinder gebeten. Der Grundgedanke des Lebens bestand in der Dschahiliyya aus dem guten Gelingen des weltlichen, diesseitigen Lebens und dessen Genusses. Es gab keine klare Jenseitsvorstellung; auch hier herrschten jedoch, wie beim Gottesglauben, Widersprüche und Verworrenheit.

Den Toten legte man Essen und Bekleidung mit ins Grab und hinterließ ein Reittier am Grab, welches den Verstorbenen zum letzten Gericht bringen sollte. Diese Bestattungsbräuche bestätigen die Annahme, dass in dieser Periode, wenn auch eher unbewusst, eine Jenseitsvorstellung bestand.

Die Kaaba und ihre Umgebung waren zweifellos das lokale Zentrum der arabischen Religion in der Dschahiliyya. Die Pilgerfahrt war die verbreitete und reguläre Form des Gottesdienstes. Während der Periode der Pilgerfahrt endeten Kriege und Kämpfe, und jeder Stamm vollzog den „Tawaf“ um die Kaaba. Während des Tawaf verbeugten sie sich jeweils in Verehrung vor ihren um die Kaaba aufgestellten Götzen.

Die Umrundung der Kaaba (Tawaf) symbolisierte die Reinigung von Sünden. Im Allgemeinen wurde diese in der Zeit der Dschahiliyya nackt vollzogen. Der Tawaf bildete das Hauptelement der Pilgerreise; diese wurde immer in einer feierlichen Stimmung durchgeführt. Während der Pilgerreise wurden auch andere Wallfahrtsorte und Tempel mit Götzen außerhalb der Kaaba besucht. Der Glaube, die Tempel enthielten Spuren der Gegenwart Gottes, bewirkte, dass diese und deren Umgebung für heilig gehalten wurden. Aus diesem Grund durfte innerhalb des Tempels kein Lebewesen getötet werden. Die Tempel stellten deshalb einen idealen Zufluchtsort dar für Menschen, denen der Zorn der Stämme widerfuhr und die um ihr Leben fürchteten, Diese waren im heiligen Gebiet in Sicherheit.

Die Araber brachten den Göttern bestimmter Tempel verschiedene Gaben, darunter auch angenehme Düfte, dar. Sie opferten ihnen Tiere, fasteten wie die Juden und Christen und beschnitten ihre Kinder. Rituelle Ganzkörperwaschung und das Einhüllen der Toten in ein Leichentuch wurden ebenso vollzogen, über die Geläufigkeit dieser Handlungen ist jedoch wenig bekannt. Die Araber riefen ihre Götzen für das Erledigen wichtiger Angelegenheiten an. Sie suchten nach Lösungen für ihre Probleme, indem sie vor ihren Götzen zur Wahrsagung (Los-)Pfeile zogen. Dies wurde zu einer Art religiöser Verpflichtung. Sie machten Prophezeiungen, indem sie die Vögel beim Fliegen beobachteten oder die Richtung der Tiere beurteilten. Gegen den bösen Blick verwendeten sie Talismane und Glücksbringer. Beim Begraben der Toten legten sie neben persönlichen Gegenständen auch Weihgeschenke auf irdenem Geschirr in das Grab und stellten am Grab Grabmäler oder -steine auf.

Hanifentum

Die Hanif haben mit ihrem Widerstand gegenüber der Götzendienerei der Quraisch und ihrer gleichzeitig distanzierten Haltung im Bezug auf die Ahl-al Kitab (Besitzer des Buches) kurz vor dem Erscheinen des Islam die Aufmerksamkeit auf sich gezogen und dem Islam den Weg geebnet. Sie haben bei der Verbreitung des Eingottglaubens (Tawhid) auf der arabischen Halbinsel und beim Aufblühen des Islam eine wichtige Rolle gespielt. Ihre geringe Anzahl, ihre zurückgezogene und bescheidene Lebensweise, die eine Absage an alles Weltliche repräsentiert („zuhd“), ihr schlichter Lebensstil als auch ihr Verständnis der Abstammung und die von ihnen vertretenen Wissens- und Kulturwerte haben sie in der Dschahiliyya zu einem besonderen Bestandteil der Gesellschaft werden lassen. Der Koran nimmt mit Lob Bezug auf diese Glaubensgruppe (Sure al-Hadsch 22/30-31). Das bedeutet, dass sich die Hanif auf den Eingottglauben beriefen und eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung der Religion Abrahams in verschiedenen Regionen gespielt haben.

Judentum

Das Judentum als eine der zwei Religionen des Buches war in der vorislamischen Zeit unter dem arabischen Volk außerhalb dem Jemen und Yathrib (heute: Medina) nicht sehr verbreitet. Die genannten Gebiete lernten das Judentum durch die Besetzung Jerusalems (6. Jahrhundert v. Chr.) kennen; der Hidschaz war gleichzeitig ein Zufluchtsort, da Rom in Syrien und Palästina strenge Verfolgungen anordnete. Die Streitigkeiten zwischen den sich in Medina, Khaybar, Fadak, Tayma und Wādi al-Qurā angesiedelten Juden und den im zweiten und dritten Jahrhundert n. Chr. in diese Gebiete immigrierten jemenstämmigen Aws und Khazradsch Stämme verhinderten, dass das Judentum hier bei den Arabern bedeutende Spuren hinterließ. Das Judentum konnte sich zwar aufgrund des internen Handels und der Konversion des Himjariten-Königs Dhu Nuwas zum Judentum im Südwesten der arabischen Halbinsel ausbreiten, weckte aber bei den Arabern nicht viel Interesse. Dies ist wiederum darauf zurückzuführen, dass das Judentum als eine nationale, dem nomadischen Leben ungeeignete Regeln und Gesetze enthaltende Religion auftrat, und dass seine Anhänger sich Anhängern anderer Religionen als überlegen verstand.

Christentum

Während das Judentum die arabische Gesellschaft nicht sehr beeinflussen konnte, kann festgestellt werden, dass das Christentum in dieser Hinsicht einen prägenderen Einfluss hinterlassen hat. Das Christentum fand seinen Weg auf die arabische Halbinsel ab dem vierten Jahrhundert n. Chr. aus dem nördlichen Syrien und dem südlichen Abessinien. Die aus Syrien kommenden Christen emigrierten aus dem Byzantinischen Reich aufgrund konfessioneller Auseinandersetzungen der östlichen Kirchen. Mit der Zeit übten diese Christen nicht nur Einfluss auf die im Norden lebenden arabischen Ghassaniden und Hiraner aus, sondern öffneten auch Wege zur Christianisierung vieler anderer arabischer Völker.

Die Verbreitung des Christentums in Süd-Arabien geschah indes durch die Abessinier, welche Nadschran zum religiösen Zentrum Arabiens machen wollten. Außerdem trug zur Christianisierung dieser Gebiete auch der Umstand bei, dass hier das römische Imperium den Sassaniden überlegen war und deshalb seinen kulturellen Einfluss ausüben konnte. Obwohl das Christentum in den südlichen Gebieten Arabiens durch die Konversion des Himjariten-Königs Dhu Nuwas zum Judentum an Macht verlor, ging die Christianisierung einerseits durch das Byzantinische Reich, andererseits durch das Königreich Abessinien, weiter. Trotz dieser Erfolge im Süden Arabiens konnte im Hidschaz keine ähnliche Entwicklung erzielt werden, obwohl der abessinische Gouverneur Abraha bis dorthin eingedrungen war.

Es wurde auch schon darauf hingewiesen, dass das Christentum im Gegensatz zu der Einfachheit der vorherrschenden Götzendienerei eine viel eindrucksvollere Religion darstellte. Das Christentum übte auf die Araber durch seine Kultur, die pompöse religiöse Kleidung, die aufwendigen Gottesdienste, großen Kirchen, den verwendeten Statuen und Heiligendarstellungen eine gewisse Anziehungskraft aus. Dies ist auch in den Gedichten der Araber nachzulesen. Eine große Rolle spielten natürlich auch die missionarischen Aktivitäten der christlichen Priester. Außerhalb Nord-Arabiens konnte sich das Christentum in den Küstengebieten der Halbinsel, im Jemen und unter den folgenden arabischen Stämmen ausbreiten: Qudaa, Ghassan, Lahm, Taghlib, Bakr, Bahra, Amila, Sülayh und Iyad.

Im Gebiet des heutigen Irak und dem Jemen befanden sich außerdem Minderheiten, welche Sterne und verschiedene Himmelskörper anbeteten, und in Bahrain gab es Feuer anbetende Zoroastrier.

Soziale Situation der vorislamischen arabischen Gesellschaft

Politische und administrative Struktur

Mekkas einziges Regierungsprinzip war die sogenannte „Mala'“. Die Mala' bestand aus einem aus den verschiedenen Stammesoberhäuptern zusammengesetzten Rat, der keine exekutive Macht hatte. Hier wurden lediglich Fälle besprochen und Richtlinien aufgestellt. Abgesehen davon genoss jeder Stamm Unabhängigkeit. Die Ratsmitglieder dieser primitiven Form der politischen Organisation, die als Scheich, Rais, Amir, Rab, oder Sayyid bezeichnet wurden, hielten Versammlungen ab. Die jeweiligen Stammesoberhäupter, die zwischen den gleichberechtigten Stammesälteren nach Kriterien wie Reichtum und Ehre ausgewählt wurden, hatten eher die Aufgabe eines schlichtenden Schiedsrichters, als dass sie Gesetze erließen. Zwar konnte der Rat als einziges Organ Belohnungen und Bestrafungen aussprechen und man vertraute auch den jeweiligen Autoritäten, jeder hatte jedoch das Recht auf Meinungsäußerung. Dieses System widerspiegelt ohne Zweifel die administrative Tradition der beduinischen Araber.

In Mekka existierte indes eine äußerst organisierte politische Verwaltung einer sesshaften Kultur. Im Zentrum dieser Verwaltung stand die Kaaba. Diese gestaltete zugleich den Lebensunterhalt, das Religionsverständnis und die Kultur der Bewohner. Die Berufungen zur Leitung und politischen Verwaltung bestimmten sich größtenteils durch Dienstleistungen für und im Namen der Kaaba. Unter den Dienstleistungen, die in der Entstehungszeit des Islam vorherrschten, sind folgende zu nennen:

  • Sidana (die Leitung, Bewachung und die Kontrolle der Türen der Kaaba),
  • Siqaya (Wasserversorgung für die Pilger),
  • Rifada (Versorgung der ärmeren Pilger mit Nahrung),
  • Ukab (Das Tragen der Fahnen im Kriegszustand),
  • Qiyada (Befehlsmacht),
  • Ischnaq (Instanz zur Verwaltung der Schulden und Geldstrafen),
  • Qubba (Zelt für Kriegsgeräte und Munition),
  • Ainna (Aufzucht, Schulung und Transport der im Krieg verwendeten Pferde),
  • Safarat (Delegation/Botschaft),
  • Isar (Das Treffen von wichtigen Entscheidungen bezüglich Reisen und Kriege durch Vorhersagen und Losungsmethoden),
  • Hukuma (Rechtssprechungsinstanz),
  • Mahdschara-Güter (Verwaltung des Geldes und der kostbaren Gegenstände, die den Götzen in der Kaaba als Gabe dargebracht wurden),
  • Imara (Instanz zur Beibehaltung der Ruhe und Höflichkeit im Umkreis der Kaaba),
  • Nadwa und Maschwarat (Beratungsausschuss).

Diese unter den verschiedenen Stammeszweigen der Quraisch verteilten Aufgabenbereiche entstanden, um den Frieden zu sichern und um die Rivalität und den Neid zu unterdrücken. Außerdem sollte diese Aufgabenteilung unter der Quraisch wahrscheinlich auch dazu dienen, die Dienstleistungen zu gewährleisten und mehr Pilger in dieses Gebiet zu locken.

Familie 

Die Familie, in der sich die Verwandtschaftsbeziehung und jegliche Vormachtstellung auf den Mann gründeten, bildete die Grundlage der Stämme der arabischen Gesellschaft. Deswegen betrachtete man die männliche Nachkommenschaft als sehr wichtig, denn mit ihnen wurden die Familie und das Prestige des Stammes gestärkt. Der Mann war in seiner Eigenschaft als Krieger sehr wichtig für den Stamm und dominierte über die Frau. Da das Leben in der Wüste hohe Körperkraft erforderte, galt die Frau als eine gesellschaftliche Last. Sie fand nur familiäre Akzeptanz, wenn sie Kinder auf die Welt brachte, ansonsten genoss sie eine rangniedrige Position ohne soziales Ansehen, ohne Erbrecht und bekam nicht einmal das Sorgerecht ihres Kindes beim Tode dessen Vaters. In dieser Hinsicht hielt man neugeborene Mädchen für wertlos und schändlich und konnte sie ohne Weiteres sterben lassen. Bei der Tötung der neugeborenen Mädchen spielten wahrscheinlich das schwierige Wüstenleben und die damit verbundenen Existenzschwierigkeiten eine gewisse Rolle, was wiederum zeigt, dass die Frau verachtet und als niederträchtig angesehen wurde. Trotz dieser unterdrückten Rolle der Frau wurden ihr äußerst wichtige Aufgaben zugeteilt. Während in der arabischen Gesellschaft die Männer in Friedenszeiten ihre Zeit mit Nichtstun, Schlafen und mit Helden-, Frauen -und Liebeserzählungen verbrachten, mussten die Frauen den ganzen Tag über schwere Arbeiten verrichten. Außer ihren familiären Pflichten wie Kindererziehung waren sie unter anderem verantwortlich für die Essenszubereitung, das Melken der Tiere, der Fertigung von Öl, dem Wäschewaschen, dem Nähen von Decken, Zelten und Kleidung, dem Spinnen von Wolle und dem Auf -und Abbau der Zelte. In dieser nomadischen Gesellschaft, in welcher der Familienbestand nur den Männern zugeschrieben wurde, war die Hauptaufgabe der Frauen, männlichen Nachwuchs zu gebären. Die Familien waren nur in der Zugehörigkeit zu einem Stamm bedeutend, und von ihrer Unabhängigkeit kann nicht gesprochen werden.

In der arabischen Gesellschaft kann die Ehe nicht als ein Bund verstanden werden, in dem der Schutz der Frau und des Familienlebens gesichert war. Das verbreitete Eheverständnis war, dass der Mann gegen eine bestimmte Mitgift eine seiner Abstammung ebenbürtige Frau heiratete. Darüber hinaus gab es aber auch andere Ehe -und Beziehungsformen, darunter die folgenden: eine Frau kam, mit der Absicht Kinder zu zeugen, mit einem Mann, den ihr Ehemann für geeignet hielt, zusammen; oder zwei Männer konnten ihre Ehefrauen untereinander austauschen. Die Polygamie war auch unter den Arabern verbreitet, sodass eine Frau mit bis zu zehn Männern gleichzeitig verheiratet sein durfte, der Mann konnte sich mit zwei Geschwistern verheiraten, außerdem durfte der Sohn auch seine Stiefmutter heiraten.

www.derletzteprophet.info/arabien-in-vorislamischer-zeit (14.02.2011)