Hadsch: Eine Darstellung der Erschaffung
Hadsch bedeutet im Grunde die Erhebung des Menschen zu Allah. Sie ist eine symbolische Darstellung der Philosophie der Erschaffung Adams. Um es noch etwas mehr zu verdeutlichen, das Gebet der Hadsch beinhaltet viele Aspekte gleichzeitig. Wie ein „Schauspiel der Erschaffung", in der „Darstellung der Geschichte", in der „Darstellung der Einheit", in der „Darstellung der Islamischen Ordnung" und in der „Darstellung der Ummah (Religionsgemeinschaft)".
Dieses Schauspiel besteht aus folgenden Elementen: Allah ist der Leiter der Szene. Das gezeigte Thema sind die Handlungsweisen der Rolleninhaber. Adam, Abraham, Hagar und der Satan sind die Hauptdarsteller. Die Szenen sind die Masdschid al-Haram, das Gebiet der Sicherheit (Mıntıka al-Haram), Mes'a (zwischen Safa und Merve), der Berg Arafat, Meschar (das Gebiet zwischen Arafat und Mina, wo die Pilger übernachten und Steine für die Steinigung des Satans einsammeln) und Mina. Wichtige Symbole sind die Kaaba, Safa, Merve, der Tag, die Nacht, das Sonnenlicht, der Sonnenuntergang und das Opfer. Kostüme und Schminke sind das Gewand der Pilger (Ihram), das Volk, und die Schuld. Schließlich ist der einzige Darsteller der Rollen in diesem Schauspiel nur ein Mensch allein; Du!
Ob Mann oder Frau, ob jung oder alt, ob schwarz oder weiß, was immer Du bist, Du bist in dieser Darstellung die wichtigste Charakteristik. Bei der Begegnung zwischen Allah und Satan wird die Rolle Adams, Abrahams und Hagars von Dir dargestellt.
Die Muslime, die jedes Jahr aus der ganzen Welt kommen, werden dazu aufgefordert, an dieser großen „Darstellung" teilzunehmen. Jeder ist dem anderen gleich. Weder Rasse, noch Geschlecht, noch gesellschaftlicher Status wird bevorzugt.
Mikat: Ort der Einhüllung in das Leichentuch
(...)
Die Darstellung beginnt am Mikat. Hier muss der Mitwirkende (der Mensch) seine Kleidung wechseln. Warum? Weil die Kleidung des Menschen nicht nur ihn selbst, sondern auch seinen Charakter bedeckt. Mit anderen Worten, der Mensch zieht die Kleidung nicht an, in Wirklichkeit versteckt die Kleidung ihn.
Kleidung, Stil und Vorliebe symbolisieren Rang und Verschiedenheit. Sie errichten künstliche, Trennung herbeiführende Grenzen zwischen den Menschen. Häufig führen sie zu Aufteilung zwischen den Menschen und zu Privilegien. Mit anderen Worten, nicht die Bezeichnung „wir", sondern das „ich" tritt in den Vordergrund. Das „Ich" wird für die Beschreibung meiner Rasse, meines Stammes, meiner Klasse, meiner Gruppe, meines Ranges, meiner Familie, meiner Werte benutzt, nicht für „mich" als Mensch. (...)
Entledige dich nun deiner Kleider. Lasse sie am Mikat. Hülle dich in dein schlichtes Leichentuch aus weißem Stoff. Kleide dich wie alle anderen. „Gleichheit" trete hervor. Mische dich als ein Teilchen unter die Menge, sinke als ein Tropfen in den Ozean. (...)
Die Szene gleicht dem Tag des Gerichts. Von einem Horizont zum anderen wogt eine „weiße Flut". Ein jeder hüllt sich in sein Leichentuch. Die Leichen wurden am Mikat überlassen und die Seelen sind hierhergekommen. In dieser großen Vereinigung gibt es keine Unterscheidung von Namen, Nationen, noch gesellschaftlicher Stellungen. Es herrscht eine unvergleichliche Atmosphäre der Einheit. Dies ist das Schauspiel des Menschen, welches die Einheit Allahs verkündet. (...)
Vor der Vollbringung der Hadsch hatten die Menschen ihre menschlichen Eigenschaften verloren. Kraft, Reichtum, Stamm, Land und Nation waren von ihnen abgefallen. Ihr Leben bestand nur noch aus „Sein". Schließlich bewirkte das Gebet der Hadsch, dass sie sich selbst entdeckten. Nun begreifen sie einander als „ Eins" und als einzige „Person", und als nichts anderes!
Lebbeyk (Aufruf): Von Ausbeutung und Tyrannei zur Erhöhung zu Allah
Eile zu Allah! Sprich „lebbeyk", wenn du die Kleidung des Ihram trägst. Allah ruft dich. Nun ist es Zeit IHM zu antworten und IHM ganz zu gehorchen: „Lebbeyk, Allahumme lebbeyk; Danksagung und Segen sei DIR, auch jegliches Hab und Gut sei DEIN. Keiner und nichts ist DIR beigesellt, lebbeyk!"
Die Menschen, welche die ausbeuterischen, betrügerischen und tyrannischen Mächte der Welt ablehnen, rufen: „Lebbeyk, Allahumme lebbeyk!" Oh Mensch, denke daran; du bist wie ein Eisenstückchen auf einem Magnetfeld! So, wie zwischen einer Million weißer Vögel, welche auf dem Weg zur Himmelfahrt (Miradsch) emporfliegen...
Die Hadsch: Eine Bewegung zu Allah, nicht zur Kaaba!
Du beginnst die Hadsch wenn du beschlossen hast, die Ewigkeit zu erreichen. Die Hadsch ist nicht eine Bewegung in Richtung der Kaaba, sondern eine ewige Bewegung in Richtung Allahs. Die Kaaba ist nicht das Ende, nach dem nichts mehr getan werden kann, sondern der Beginn. (...)
Bevor du nach Mekka gekommen bist, warst du ein Fremder, der in seinem eigenen Land im Exil gelebt hat. Aber jetzt bist du aufgerufen, dich der Familie Allahs anzuschließen. Die wertvollste Familie der Welt, die Menschheit, ist in dieses Haus eingeladen. Wenn du an dich selbst als Person denkst, wirst du dich als einsamer, obdachloser Fremdling fühlen. Darum, befreie dich von den Neigungen deines Ichs; denn dann wirst du bereit sein, in dieses Haus zu gehen und dich der Familie anzuschließen.
Tawaf: Die kristallisierte Bewegung der Idee der Einheit Allahs (Tawhid)
Tawaf ist ein Gleichnis für die ganze Welt; es ist ein Beispiel für die auf der Idee der Einheit gegründeten Ordnung, welche die Lenkung eines Teilchens (eines Menschen) mit einschließt. Allah ist im Zentrum des Seins; das bedeutet, er ist im Zentrum der vergänglichen, nur einen Tag währenden Welt. Du aber bist ein bewegliches Teilchen auf dem Weg der Veränderung von deinem bestehenden zu deinem angestrebten Zustand. (...)
Wenn du immer noch du selbst bist, dann bist du nicht wirklich ein Teil des Tawaf ausübenden Menschenkreises. Dann bist du nicht im Fluss, sondern wie ein Gast am Ufer. Die aber, die sich von sich selbst lösen, sind lebendig und bewegen sich mit der Gemeinschaft.
Wer oder was ist dein Ismail?
Du befindest dich nun in Mina, der Bühne Abrahams; du beginnst, dich wie Abraham zu verhalten. Er hatte seinen Sohn Ismail hierher gebracht, um ihn zu opfern. Wer oder was ist dein Ismail? Dein Rang? Deine Ehre? Dein Beruf? Dein Geld? Dein Haus? Dein Hof? Dein Auto? Deine Liebe? Dein Wissen? Deine gesellschaftliche Klasse? Deine Kunst? Deine Kleidung? Dein Leben? Deine Jugend? Deine Schönheit? Was... Ich kann es nicht wissen. Aber du kennst dich. Wer und was es auch sei, du musst es mit dir bringen, um es hier zu opfern. Was es ist, kann ich dir nicht sagen, aber ich kann dir Beispiele geben; was immer deinen Glauben schwächt, was immer dich davon abhält, Verantwortung zu übernehmen, was immer für dich eine Hürde bedeutet, den Ruf zu hören und die Wahrheit zu bekennen, was immer dich zwingt zu „fliehen", was immer Gründe für deine Bequemlichkeit sind, was immer dich blind und taub macht... das ist es, was du opfern sollst!
Nach der Hadsch: Nun befindest du dich an der Stätte Abrahams (Makam al-Ibrahim)
Du stehst nun an der Stätte Abrahams und wirst seine Rolle ausfüllen; du wirst leben wie er und wirst der Erbauer der Kaaba seines Glaubens sein. Errette die Menschen aus dem Sumpf, in dem sie leben. Hilf ihnen, sich zu erheben und zeige ihnen die Richtung. Rufe sie zur Hadsch, rufe sie zur Umkreisung der Kaaba (Tawaf). Rufe sie zur Tawaf, damit sie die Eigenschaften Abrahams gewinnen. Du hast Allah gelobt, seinen Weg zu gehen, nachdem du an der Tawaf teilgenommen hast, um die Eigenschaften Abrahams zu gewinnen. Allah ist dein Zeuge.
Mache dein Land zum Land der Sicherheit, denn du bist nun im Gebiet der Sicherheit (Mıntıka al-Haram).
Lasse deine Zeit zu einer ehrenhaften Zeit werden (Zaman al-Haram), so, als trügest du immer die Kleidung des Ihram.
Lasse die Welt zu einem heiligen Gebetshaus werden (Masdschid al-Haram), denn du befindest dich nun im heiligen Gebetshaus.
Denn die Welt ist Allahs Gebetshaus.
Aber jetzt siehst du, dass „es nicht so ist"!
(Quellennachweis: Ali Şeriati; Hacc, Şura Yayınları, 1991, İstanbul)
http://derletzteprophet.info/hadsch-eine-darstellung-der-erschaffung (01.09.13)