Das erste Wort: Im Namen Gottes (bismillah)

Im Namen Gottes des barmherzigen Erbarmers[1]

Mit dem Namen Gottes (bismillah)[2] nimmt alles Gute seinen Anfang[3] und auch wir fangen mit ihm an. Oh meine Seele, wisse, so wie dieses gesegnete Wort ein Zeichen des Islams ist, so ist es nonverbal (lisan hal) auch ein permanentes Gedenken der gesamten Existenz. Du willst verstehen, was für eine unermessliche und unerschöpfliche Kraft und ein nie versiegender Segen Bismillah ist, so betrachte und höre diese gleichnishafte Geschichte:

Für jemanden, der die Wüsten der arabischen Beduinen durchqueren will, ist es erforderlich im Namen und unter der Obhut eines Stammesfürsten zu reisen, um so vor den Gemeinheiten der Räuber unbehelligt seinen Bedürfnissen nachkommen zu können. Ansonsten wird er alleine, angesichts unzähliger Feinde und Bedürfnisse verelenden.

Auf solch einer Reise machten sich einst zwei Männer auf den Weg durch die Wüste. Der eine von ihnen war bescheiden und bewarb sich den Namen eines Fürsten, der andere aber war stolz und verzichtete darauf. Der Bescheidene bewegte sich überall in Sicherheit. Traf er auf einen Straßenräuber, sagte er: „Ich reise im Namen des Fürsten...“ Der Räuber ließ von ihm ab und machte sich davon. Trat er in ein Zelt ein, wurde ihm aufgrund jenes Titels Respekt erwiesen. Der Stolze erlitt unbeschreibliche Strapazen; ständig zitterte und bettelte er - verachtet und verstoßen.

Oh meine stolze Seele, du bist dieser Reisende und diese Welt ist eine Wüste. Deine Schwäche und Bedürftigkeit sind unbegrenzt; deine Feinde und Bedürfnisse endlos. Weil dem so ist, begib dich unter den Namen des urewigen Eigentümers und Herrschers dieser Wüste, damit du vor der Bettelei in aller Welt und vor dem Zittern bei jedem Ereignis bewahrt bleibst.

In der Tat ist dieses Wort (bismillah) ein segensreicher Schatz; es bindet dich durch deine unbegrenzte Schwäche und Bedürftigkeit an die grenzenlose Macht und Barmherzigkeit und macht deine Schwäche und Armut am Hofe des barmherzig Allmächtigen zu beachtenswerten Fürsprechern. Wer gemäß diesem Wort handelt, gleicht einem Mann, der sich als Soldat rekrutieren lässt, im Namen des Staates agiert und niemanden zu fürchten braucht – im Namen des Gesetzes, im Namen des Staates spricht er, erledigt jede Arbeit und überwindet jede Schwierigkeit.

Am Anfang wurde gesagt: Die gesamte Existenz spricht nonverbal den Namen Gottes (bismillah). Wie ist das zu verstehen?

Wenn du siehst, dass eine einzige Person kommt und eine ganze Stadt unter Zwang an einen Ort führt und arbeiten lässt, dann weißt du ja sicherlich, dass diese Person nicht im Selbstauftrag und auf eigene Faust agiert. Vielmehr ist sie ein Soldat, die im Namen des Staates handelt und sich auf die Macht eines Königs stützt.

Genauso handeln alle Dinge im Namen Gottes, sodass winzig kleine Samenkerne und Körner riesige Bäume, deren Gewicht gleich Bergen ist, auf ihrem Haupte tragen. So spricht jeder Baum „Bismillah“; er füllt seine Hände mit Früchten aus der Schatzkammer der Barmherzigkeit und serviert sie uns. Jeder Garten spricht Bismillah, er wird zu einem Kessel in der Küche der Allmacht, in dem die vielfältigsten Arten köstlicher Speisen zusammen zubereitet werden.

Segensreiche Tiere, wie die Kuh, das Kamel, die Ziege und das Schaf, sprechen Bismillah, werden aus der Fülle der Barmherzigkeit zu einem Brunnen von Milch und bieten uns im Namen des Versorgers die feinste und reinste Nahrung gleich dem Lebenselixier an.

Die seidenweichen Wurzeln, die Adern der Pflanzen, Bäume sowie Kräuter sprechen Bismillah und durchdringen harte Steine und feste Erde. Sie sprechen „im Namen Gottes, im Namen des Barmherzigen“ und ihnen wird alles dienstbar. Die Ausbreitung der Äste in der Luft, ihr Tragen von Früchten, die äußerst leichte Ausbreitung der Wurzeln im harten Stein sowie in der Erde, ihre Austragung von Früchten unter der Erde und die monatelange Frische von grünen, zarten Blättern trotz sengender Hitze sind ein Schlag ins Gesicht der Naturalisten, ein Stich in ihre verblendete Augen und eine Ansprache: „Selbst die Härte und Hitze, denen ihr so viel zutraut, handeln unter göttlichem Befehl, sodass die seidenweichen Adern gleich dem Stab Mose dem Befehl „Schlag‘ mit deinem Stab den Stein![4] folgend die Steine zerspalten und die zarten, gleich Zigarettenpapier feinen Blätter gegen die feuerspeiende Hitze wie die Glieder Abrahams den Vers „Feuer! Sei frisch und friedlich![5] sprechen.“

Da nun einmal jedes Ding sinnbildlich Bismillah sagt und uns im Namen Gottes seine Gnadengaben anbietet, müssen auch wir Bismillah sagen. Im Namen Allahs geben, im Namen Allahs nehmen. Folglich sollten wir von achtlosen Menschen, die nicht im Namen Allahs geben, nichts annehmen.[6]

Hierzu stellt sich folgende Frage: Wir zahlen Menschen, die die Funktion eines Überbringers haben, einen Preis. Doch welchen Preis verlangt Allah, der wahre Eigentümer, von uns?

Die Antwort drauf ist: Der wahre Geber verlangt für die wertvollen Gaben und Güter drei Dinge: Gedenken (dhikr), Danken (schukr) und Nachdenken (fikr).[7]

Am Anfang ist Bismillah ein Gottesgedenken, am Ende ist das Alhamdulillah (Lob sei Gott) ein Danken. Dazwischen zu reflektieren und zu begreifen, dass diese wertvollen Gaben, diese wunderbaren Kunstwerke, Wunder der Allmacht und Geschenke der Barmherzigkeit des Einen (Ahad) und des Absoluten (Samad) sind, ist Nachdenken.

Töricht, einem Armseligen, der dir ein wertvolles Geschenk eines Königs überbringt, die Füße zu küssen und dabei den Eigentümer des Geschenkes nicht zu kennen - tausendmal törichter die scheinbaren Geber zu loben und zu lieben, den wahren Geber aber zu vergessen.

Seele! Willst du nicht so töricht sein, dann gib im Namen Allahs, nimm im Namen Allahs, beginn im Namen Allahs, handle im Namen Allahs - und es sei Friede!

 

[1] Koran, 1:1.

[2] Bismillah bedeutet: „Im Namen Gottes“, steht aber als Kurzformel für Bismillahirrahmanirrahim (Im Namen Gottes des barmherzigen Erbarmers) (Übers.)

[3] Ahmad: Musnad, 2:359; Nasa’i: Sunan al-Kubra, 6:127-128; Ibn Hibban: Sahih, 1:173-174.

[4] Koran, 2:60.

[5] Koran, 21:69.

[6] „Man sollte Gaben, die durch die Hand der äußerlichen Ursachen (asbab dhahiriyya) kommen, nicht diesen zurechnend annehmen. Wenn eine solche Ursache keinen (freien) Willen besitzt – wie z. B. ein Tier oder ein Baum –, so gibt sie die Gabe unmittelbar Gott zurechnend. Da sie nonverbal Bismillah sagt und dir gibt, so sag auch du Gott zurechnend Bismillah und nimm es an. Wenn die Ursache jedoch einen (freien) Willen besitzt, so darfst du nur nehmen, wenn diese Bismillah sagt. Denn neben der offensichtlichen Bedeutung des Verses „esst nicht von dem, worüber der Name Gottes nicht gedacht wurde“ (Koran, 6:121) gibt es auch die folgende implizite: „Esst nicht eine Gabe, die euch nicht an den wahren Geber gedenken lässt und in seinem Namen gegeben wird!“ Entsprechend sollte sowohl der Gebende als auch der Nehmende Bismillah sagen. Wenn er nicht Bismillah sagt, du aber der Annahme bedürftig bist, so sprich Bismillah, erkenne die Hand der göttlichen Gnade auf seinem Haupt, küsse sie in Dankbarkeit, und nimm es an. Das heißt: schau von der Gabe auf das Geben, in dem Geben denke an den wahren Geber. Dieses Denken ist ein Danken. Danach magst für den äußerlichen Mittler beten. Denn die Gabe wurde dir durch seine Hand überbracht.“ (17. Blitz)

[7] Vgl. Suyuti: Tafsir ad-Durr al-Mansur 1:12, 2:103 (Ibn Abbas); Dailami: Musnad al-Firdaws, 2:74.