Mahabba – (Liebe)

Die Liebe ist das, was uns in unserem vergänglichen Leben in dieser Welt Geschmack, Freude, inneren Frieden und Zufriedenheit beschert. Die Liebe ist wie die Hefe im Teig des Daseins. Die Fähigkeit zu lieben gehört zu den größten Geschenken unseres Herrn an seine Diener. Aus diesem Grunde sollte unsere Liebe immer Dingen gelten, die es wert sind, geliebt zu werden, und jenen Herzen zufliegen, die wissen, was wahre Freundschaft ist. Das Stadium der Liebe zu den Menschen und Geschöpfen dieser Welt ist dabei in Wirklichkeit nicht mehr als eine Stufe auf dem Weg zur Gottesliebe. Leider opfern jedoch sehr viele Menschen dieses gottgegebene Geschenk der Liebe auf dem Altar ihrer flüchtigen, vorübergehenden Wünsche und egoistischen Begierden.

Dabei wird eine Liebe, die nicht dem gilt, der ihrer würdig ist, zu einem der bedauernswertesten und größten Verluste dieses Lebens. Liebe, die sich im Griff billiger weltlicher Interessen befindet, gleicht einer wunderschönen Blu­me, die zwischen den Spalten von Bürgersteigplatten erblüht: Früher oder später wird sie platt getrampelt werden und sterben. Welch ein Unglück ist es für einen Diamanten, auf die Straße zu fallen und dort verloren zu gehen! Und welch tragischer Verlust ist es für ihn, wenn er einem Unwürdigen in die Hände fällt!

Der große Sufi-Meister Jalāl al-Dīn Rūmī benutzt das folgende Lehrbeispiel, um den Zustand jener zu illustrieren, die der Verlust der göttlichen Liebe trifft, weil sie ihr Kapital der Liebe an vergängliche und wertlose Dinge ver­schwenden:

Diejenigen, die diese Welt lieben und ihr Herz an sie verschenken, glei­chen einem Jäger, der einem Schatten nachjagt. Wie kann er einen Schat­ten fangen?

Doch der naive Jäger verwechselt den Schatten eines Vogels mit dem Vogel selbst und müht sich ab, ihn einzufangen. Selbst der Vogel oben auf dem Ast wundert sich darüber, was dieser Schattenjäger da voll­führt.

Herzen, in denen keine Samen der Liebe emporkeimen, sind dem Untergang geweiht. Versklavt von ihren egoistischen Gefühlen, schleppen sie die in ihrem Inneren angelegten spirituellen Empfindungen wie einen Leichnam mit sich um­her. Eine Liebe, die aus dem göttlichen Quell der Spiritualität gespeist wird, gleicht hingegen den Blumen des Paradieses, die einen wunderbaren Duft verströ­men. Selbst wenn diese Blüten eines Tages verwelken und ihre Blätter abfallen, bedarf es nur eines Lächelns, das der Quelle entspringt, um sie zu neuem Leben zu erwecken und ihnen wieder jugendliche Frische zu verleihen.

Diejenigen, die jener göttlichen Liebe teilhaftig werden, welche die wahre Quelle jeder Liebe ist, sind zu wahrer Freundschaft mit anderen Geschöpfen fähig. Mit anderen Worten heißt dies: sie erlangen die Fähigkeit, diese Geschöpfe mit dem Blick ihres Schöpfers zu betrachten. Die Gottesfreunde, die diese hohe Stufe erlangt haben, sind frei von allem Streben nach egoistischen Vergnügungen und leben in dem Wissen, dass wahre Freude in der Erkenntnis und Liebe Allāhs be­steht. In einem Hadīth qudsī sagt Allāh, der Erhabene:

Nichts liebe Ich von Meinem Diener mehr, als wenn er die (religiösen) Pflichten erfüllt, die Ich ihm auferlegt habe; und Mein Diener nähert sich Mir durch freiwillige Taten, bis ich Ihn liebe. Wenn Ich ihn dann liebe, bin Ich das Ohr, mit dem er hört, die Augen, mit denen er sieht, die Hände, mit denen er greift, und die Füße, mit denen er läuft […]“[1]

Einen solchen Gipfel an Spiritualität zu erreichen ist ebenso selten wie die Be­steigung der höchsten Berggipfel auf unserem Planeten. Diejenigen, deren Cha­rakter und Persönlichkeit von diesen göttlichen Gnaden und Segnungen geprägt sind, bleiben davor bewahrt, dem Glanz des Weltlichen zu verfallen. Solche Menschen besitzen eine eigene und einzigartige Art, mit den Geschöpfen dieser Welt zu kommunizieren. Um so zu sprechen wie sie, bedarf es einer Vertrautheit des Herzens mit der Sprache jener Geschöpfe.

Jene, die hören können, nehmen all die vielfältigen Gesänge einer zarten Blüte, die verschiedenen Melodien der Nachtigall oder das ständig sich verändernde Lied im Plätschern eines Baches wahr. Wie viele Geschichten hat jede einzelne Nacht zu erzählen! Und mit wie vielen verschiedenen Brisen bringt der Wind den Morgenhauch für jenen, der ihrer gewahr ist? Vollkommene Gläubige, deren Herzen von Liebe und leidenschaftlicher Hingabe erfüllt sind, beobachten mit tief durchdringendem Verständnis das Fließen der göttlichen Geheimnisse und Weisheit in dieser Welt. Wie könnte jemand, der über gesunde Wahrnehmung und ein reines Herz verfügt, nicht berührt sein von den leidenschaftlichen Gesängen göttlicher Liebe, nachdem er Zeuge all dieser göttlichen Geheimnisse und prächtigen Meisterwerke geworden ist?

Der Wert jeder Liebe entspricht der Bedeutung und Vollkommenheit des Geliebten. Aus diesem Grund stellt die Liebe zum Propheten Muhammad – Allāh segne ihn und schenke ihm Frieden – den Höhepunkt menschlicher Liebe dar, denn es ist unmöglich, sich einen Menschen vorzustellen, der würdiger wä­re, geliebt zu werden, als er. Und doch ist die Liebe zum Propheten – Segen und Friede seien auf ihm – nicht der absolute Höhepunkt der Stufen der Liebe. Der endgültige Gegenstand der Liebe des Menschen sollte Allāh, der Schöpfer des Universums, sein. Die Sufis nennen diese Stufe Fanā’ fī Allāh und Baqā’ bi Allāh und beschreiben damit einen Zustand, der dem eines Flusses ähnelt, der das Meer erreicht hat, in dieses mündet und sich ganz darin verliert. Einer der großen Gottesfreunde beschreibt in einem Gedicht das Brennen der Flammen des Fanā’ fī al-Rasūl[2] und des Fanā’ fī Allāh:

O mein Geliebter! Angesichts der Erscheinung deiner Schönheit ist der Quell in Flammen entbrannt.

Die Rose steht in Flammen, die Nachtigall steht in Flammen, die Hyazynthe steht in Flammen, die Erde und die Büsche, sie alle stehen in Flammen!

Dein Licht, hell strahlend wie die Sonne, ist es, das alle Liebenden ent­flammt!

Das Herz steht in Flammen, die Brust steht in Flammen, und beide Augen, die vor Liebe weinen, stehen in Flammen!

Ist es möglich, den Körper eines Märtyrers der Liebe, der so in Flammen steht, zu waschen?

Der Körper steht in Flammen, der Sarg steht in Flammen und selbst das köst­lich kühle, süße Wasser steht in Flammen!

Zur Liebe Allāhs zu gelangen setzt wahrhaftige Liebe zum Gesandten Allāhs voraus – möge Allāh ihn segnen und ihm Frieden schenken; dies ist die letzte Stufe menschlicher Liebe, die der Gottesliebe vorausgeht. Deshalb sind auch jene, denen die Erfahrung der Liebe zum Gesandten Allāhs – Segen und Friede seien auf ihm – fehlt, unfähig, wahre Liebe für Allāh zu empfinden. Es ist wichtig, zu verstehen, dass der einzige Fluss von Liebe und Barmherzigkeit, der zum Ozean göttlicher Liebe fließt, der Fluss der Liebe zu Allāhs Gesandtem ist. Die Liebe zu Seinem Gesandten ist Teil der Liebe zu Allāh, Gehorsam gegenüber Seinem Gesandten ist Teil des Gehorsams gegenüber Allāh, und Ungehorsam gegenüber Seinem Gesandten bedeutet Rebellion gegenüber Allāh. Entsprechend stellt das gesegnete Dasein des Propheten Muhammad – Allāh segne ihn und schenke ihm Frieden – einen geheiligten Zufluchtsort der Liebe für die gesamte Mensch­heit dar. Im heiligen Qur‘ān heißt es in diesem Zusammenhang:

{Sprich: „Wenn ihr Allāh liebt, so folgt mir, auf dass Allāh euch lieben und euch eure Sünden vergeben möge.“} (3:31)

Zweifelsohne ist das größte Zeichen von Liebe die Hingabe und Aufopferung für den Geliebten. Wie sehr ein Liebender mit seinem Geliebten übereinstimmt, hängt davon ab, in welchem Maß die Liebe sein Herz erfüllt. Wenn die Liebe vom Herzen Besitz ergriffen hat, finden sich auch Aufrichtigkeit, Reinheit der Intentionen und göttlicher Segen ein. Die Handlungen eines Menschen erlangen einen höheren Wert, wenn sie aus Liebe verrichtet werden. Im Gegensatz dazu sind Handlungen, die ihren Ursprung nicht in der Liebe haben, nichts weiter als Anmaßung: sie bleiben stets unaufrichtig und dienen nur der Stärkung der Ansprüche des Egos.

Selbst eine scheinbar unbedeutende Handlung, die aus Liebe verrichtet wird, ist um ein Vielfaches besser als monumentale Werke, bei deren Absichten die Aufrichtigkeit fehlt. Am deutlichsten tritt dies bei der göttlichen Liebe – der höchsten Stufe von Liebe überhaupt – zutage. Die höchste Stufe, die ein Mensch erreichen kann, besteht darin, der Segnungen der Gottesliebe teilhaftig zu werden. Doch es besteht kein Zweifel daran, dass die Liebe, ebenso wie alle anderen Dinge auch, von Allāh erschaffen ist. Deshalb kann auch kein Diener ohne Allāhs Erlaubnis diesen Rang erreichen. Die Aufgabe des Dieners besteht deshalb darin, zu beten, Allāh zu bitten und bei Ihm Zuflucht zu suchen. Im heiligen Qur’ān heißt es:

{Sprich [zu den Ungläubigen]: „Was sollte Sich mein Herr um euch be­küm­mern, wenn ihr (Ihn) nicht anruft? Ihr habt (Ihn) geleugnet, und das Unausweichliche wird eintreffen.“} (25:77)

Das Zeichen der Liebe zu Allāh und der Weg, der zu Seiner Liebe führt, bestehen darin, sich – nachdem man seine Aufgaben und Pflichten als Diener mit größtmöglicher Aufrichtigkeit und Sorgfalt erfüllt hat – darum zu bemühen, aus Liebe und Hingabe zu Allāh, voller Ehrerbietung, Zuwendung und Freude – über das, wozu man verpflichtet ist, hinaus – freiwillige gute Werke zu verrichten. Zielstrebig auf diesem Wege voranzuschreiten, bis man der Gottesliebe teilhaftig wird, ist der wahre Daseinszweck und Erschaffungsgrund der Menschheit. Das Ziel aller religiösen Pflichten im Islam besteht darin, das Wohlgefallen Allāhs, des Erhabenen, zu erlangen. Das wichtigste Mittel auf diesem Weg besteht da­rin, Allāh von ganzem Herzen zu lieben. Alle anderen Handlungen sind eigentlich weiter nichts als Ausdrucksformen dieser Liebe.

Dabei ist es nur natürlich, dass mit dem Wachsen der Liebe im Herzen des Gläubigen auch die Zahl der rechtschaffenen Taten zunimmt, die er um Allāhs willen verrichtet. Aus diesem Grunde ist für jene, die Fortschritte auf dem Weg der Gottesliebe machen, das Verrichten von Pflichten allein nicht genug, sie wollen mehr Gutes tun, indem sie freiwillige gute Werke mit ebensolcher gewissenhaftigkeit und Freude verrichten, wie ihre Pflichten. Infolgedessen wird ihr Wunsch, Gutes zu tun, immer stärker – ähnlich dem immer größer werdenden Verlangen eines in der Wüste Verdurstenden nach Wasser. Nichts kann dem Menschen in diesem Zustand mehr Trost spenden, außer der Rückkehr zu Allāh. So wie es im heiligen Qur’ān heißt:

{[Zu der rechtschaffenen Seele wird ge­sagt werden:] „O du, in Frieden ergebene Seele! Kehre heim zu deinem Herrn, wohlzufrieden und mit (Seinem) Wohlgefallen!“} (89:27-28)

Jene Gläubigen, die diese hohe Ebene der Gottesliebe verwirklicht haben, richten ihr ganzes Streben darauf, ihr Leben vollständig – bis hin zu jedem einzelnen Atemzug – in Gottesdienst zu verwandeln. Um diesen außergewöhnlichen Zustand zu erreichen, ziehen sie den Gottesdienst an abgeschiedenen Orten und im Dunkel der Nacht dem Gesehenwerden und der Anerkennung ande­rer Menschen vor. Im unaufhörlichen Bewusstsein ihrer Gottesdienerschaft, suchen sie ihren Durst mit dem Trunk der Liebe in der Heimstatt der Vorzüglichkeit [ihsān] zu stillen. Auf diesem Wege sind sie, wenn notwendig, bereit, allen Wohlstand, gesellschaftlichen Status, allen weltlichen Besitz und selbst ihr Leben hinzugeben. Darüber hinaus sind ihre Herzen ständig – in unablässigem Streben nach der Liebe Allāhs und Seinem Wohlgefallen – in Bittgebeten und im Gottesgedenken ihrem erhabenen Herrn zugewandt.

Die folgende Begebenheit aus dem Leben des Prophetengefährten ‘Ammār ibn Yāsir – möge Allāh mit ihm zufrieden sein – verdeutlicht die Liebe der Gefährten für den Propheten Muhammad – Allāh segne ihn und schenke ihm Frieden –, ihre Liebe zu Allāh und ihre vollkommene Hingabe und Unterwerfung unter Seinen göttlichen Willen:

Während er vor einer Schlacht am Ufer des Euphrat entlang ging, verlieh ‘Ammār ibn Yāsir seinen innersten Gefühlen Ausdruck, indem er sagte: „O mein Herr! Wenn ich wüsste, dass Du mit mir zufriedener wärest, wenn ich mich von der Klippe dieses Berges stürzte, täte ich es sofort. Wenn ich wüsste, dass es Dir wohlgefälliger wäre, wenn ich mich in eine Feuersbrunst stürzte, ich täte es sofort. O mein Herr! Wenn ich wüsste, dass es Dir lieber wäre, wenn ich mich ins tiefe Wasser stürzte und darin ertränke, ich täte es sofort. O mein Herr, ich kämpfe nur um Deinetwillen und ich bitte Dich, lass Du mich diesen Kampf nicht verlieren. Ich strebe ein­zig und allein nach Deinem Wohlgefallen![3]

Die Liebe zu Allāh und Seinem Gesandten – Segen und Friede seien auf ihm – ist die Essenz unserer Religion und der höchstgesegnete Weg zu Allāh. Sie stellt den einzigen Zugang zu vertrauter Gottesnähe und zur Barmherzigkeit Allāhs, des Allmächtigen, dar. Nur der Schlüssel der Liebe verschafft Einlass am Tor zur göttlichen Gegenwart. Liebe sollte jedoch niemals ein leeres Wort sein. Denn eitle Floskeln, die keinen Widerhall im Herzen finden, haben nichts mit wahrer Gottesliebe gemein, und, schlimmer noch: sie verleiten zu Einbildung und Selbst­herrlichkeit.

Die Lebensläufe der edlen Gefährten des Propheten – Allāh segne ihn und sie allesamt und schenke ihm und ihnen Frieden – sind die konkretesten Beispiele wahrhaftiger Liebe. Sie alle lebten, Tag für Tag, in Wort und Tat, die Liebe zu Allāh und zu Seinem Gesandten vor. Die im Folgenden aufgeführten Begebenheiten machen dies deutlich:

Der Gesandte Allāhs – Segen und Friede seien auf ihm – sandte Botschafter zu den verschiedenen Stämmen in der Umgebung Medinas, um sie den Islam zu lehren. Die Stämme der ‘Adhl und Qāra gehörten zu jenen Stämmen, und der Prophet – Allāh segne ihn und schenke ihm Frieden – sandte eine Gruppe von zehn seiner Gefährten zu ihnen. Unterwegs wurde diese Gruppe angegriffen. Acht dieser Gefährten wurden im Kampf getötet und zwei von ihnen wurden gefangen genommen. Der Klan, der diese beiden, Zayd ibn Dithana und Khubayb (ibn ‘Ādī al-Khazrajī), gefangen genommen hatte, überstellte sie den Götzenanbetern von Mekka, die daraufhin beide ermordeten. Bevor sie ihn töteten, fragten die Götzenanbeter Zayd – möge Allāh mit ihm zufrieden sein: „Wäre es dir nicht lieber, wenn Muhammad jetzt an deiner Stelle wäre?

Zayd schaute Abū Sufyān, der ihm diese Frage gestellt hatte, mit einem mitleidigen Gesichtsausdruck an und antwortete: „Nein! Bei Allāh, ich würde es nicht einmal vorziehen, mit meiner Frau und meinen Kindern in Glück und Frieden zu leben, wenn Muhammads Fuß auch nur von einem Dorn gestochen wür­de![4]

Abū Sufyān war zutiefst beeindruckt von diesem Ausdruck unvergleichlicher Liebe. Er sagte: „Nie zuvor habe ich auf dieser Welt Menschen gesehen, die jemanden so lieben, wie die Gefährten Muhammad lieben.

Danach gingen die Götzenanbeter zu Khubayb – möge Allāh mit ihm zufrieden sein – und boten ihm an, ihn freizulassen, wenn er seinen Glauben aufgäbe. Der edle Prophetengefährte entgegnete mit klaren Worten: „Selbst wenn ihr mir dafür die ganze Welt anbötet, würde ich meine Religion niemals auf­geben.

Bevor er den Märtyrertod starb hatte Khubayb – möge Allāh mit ihm zufrieden sein – nur einen einzigen Wunsch: Er wollte dem Propheten seinen Friedensgruß [salām] entbieten. Doch wer könnte diesen Gruß überbringen? Im Bewusstsein seiner Ohnmacht schaute er zum Himmel empor und bat in absoluter Aufrichtigkeit: „O mein Herr! Hier ist niemand, der meinen Gruß überbringen könnte, darum bitte ich Dich, übermittle Du Deinem Gesandten meinen Gruß!

Der Prophet – Allāh segne ihn und schenke ihm Frieden – befand sich zu jenem Zeitpunkt in Medina und war umgeben von seinen Gefährten. Plötzlich sagte er unvermittelt: „‘Alayhi al-Salām!“, was ungefähr bedeutet: „Möge der Friede und Segen Allāhs auf ihm sein!“ Die Gefährten waren überrascht, dies zu hören und fragten: „O Gesandter Allāhs! Wem hast du mit diesem Gruß geantwortet?“ Er erwiderte: „Dem Gruß eures Bruders Khubayb.

Schließlich töteten die Götzenanbeter Mekkas die beiden Gefährten, nach­dem sie sie zuvor grausam gefoltert hatten. Khubaybs letzte Worte waren äußerst beeindruckend. Er sagte: „So lange ich als Muslim den Märtyrertod sterbe, kümmert es mich nicht, auf welche Weise ich zu Tode komme![5]

Ebenso wetteiferten die jüngeren Gefährten aus Liebe zu Allāhs Gesand­tem – Segen und Friede seien auf ihm – um die Ehre, ihm als Botschafter dienen zu dürfen, indem sie seine Briefe überbrachten, mit denen er zum Islam einlud. Mit der Absicht, ihm auch nur einen einzigen Wunsch zu erfüllen, baten sie darum, ihm zu Diensten sein zu dürfen, selbst wenn es ihnen große Opfer abverlangte. Ein eindeutiger Beweis ihrer unendlichen Liebe zu Allāhs Gesandtem ist die Tatsache, dass sie, nachdem sie riesige Wüstengebiete durchquert und hohe Gebirge überwunden hatten, furchtlos die Botschaften des Propheten – Allāh segne ihn und schenke ihm Frieden – in der Gegenwart der mächtigsten Herrscher verlasen, während hinter ihnen die Scharfrichter bereit standen.

Die Liebe, der Respekt und die Ehrerbietung der Gefährten für den Propheten – Allāh segne ihn und schenke ihm Frieden – war so groß, dass sie sich kaum trauten, ihn zu beschreiben, wie in den folgenden Begebenheiten deutlich wird:

Khālid ibn Walīd – möge Allāh mit ihm zufrieden sein – durchquerte einmal das Gebiet eines der Araberstämme. Der Führer des Stammes befragte ihn und bat ihn, er möge ihm den Gesandten Allāhs – Segen und Friede seien auf ihm – beschreiben. Doch Khālid ibn Walīd antwortete ihm: „Ich kann ihn nicht beschreiben!

Der Stammesführer bestand jedoch auf seinem Verlangen und sagte: „Dann erzähle mir über ihn soviel du kannst.

Khālid – möge Allāh mit ihm zufrieden sein – antwortete: „Ich kann dir nur soviel sagen: die Stellung eines Gesandten richtet sich nach der desjenigen, der ihn gesandt hat. Da es der Schöpfer des Universums ist, der Rasūl Allāh gesandt hat, magst du versuchen, dir anhand dieser Tatsache ein Bild von der Stellung Seines Gesandten zu machen.

Ähnlich beantwortete ein anderer bedeutender Gefährte, ‘Amr ibn al-‘Ās – möge Allāh mit ihm zufrieden sein – die gleiche Frage. Er sagte: „Ich war wegen meiner gewaltigen Ehrerbietung für den Gesandten Allāhs – Segen und Friede seien auf ihm – nie in der Lage, ihn mir genau anzuschauen. Deshalb bin ich, wenn ihr nun verlangt, ich solle ihn euch beschreiben, nicht wirklich dazu in der Lage.

Die große Liebe der Gefährten zu ihrem Propheten – Allāh segne ihn und schenke ihm Frieden – ist deutlich daran zu erkennen, wie sie seinen Anordnungen bis ins letzte Detail gehorchten und sein vorzügliches, beispielhaftes Verhalten verinnerlichten. Dies liegt daran, dass der Liebende dem Geliebten entsprechend dem Grad seiner Liebe nachfolgt. Der Gesandte Allāhs – Segen und Friede seien auf ihm – war eine Barmherzigkeit für alle Welten, und er betrachtete die gesamte Schöpfung mit grenzenloser Liebe und Zuneigung. Dies manifestierte sich auch in seinen Gefährten, die ihm in großer Liebe zugetan waren, wie zum Beispiel bei folgender, von Abū ‘Abd al-Rahmān al-Jabalī überlieferten, Begebenheit:

Während eines Feldzuges gegen die Byzanthiner waren wir gemeinsam mit Abū Ayyūb al-Ansārī – möge Allāh mit ihm zufrieden sein – auf einem Schiff. Unser Befehlshaber war ‘Abd Allāh ibn Qays. Als der edle Gefährte Abū Ayyūb al-Ansārī zu dem für die Verteilung der Kriegsbeute und Kriegsgefangenen Verantwortlichen kam, sah er eine Frau, die weinte. Die Frau war eine der Kriegsgefangenen. Abū Ayyūb fragte, warum die Frau weinte und man berichtete ihm: „Diese Frau hat ein Kind und man hat sie von ihrem Kind getrennt; darum weint sie.

Abū Ayyūb al-Ansārī – möge Allāh mit ihm zufrieden sein – machte sich augenblicklich auf die Suche nach dem Kind und brachte es zu seiner Mutter zurück, woraufhin sie aufhörte, zu weinen. Der für die Verteilung der Kriegsbeute Verantwortliche ging daraufhin zu seinem Befehlshaber ‘Abd Allāh ibn Qays und berichtete ihm, was Abū Ayyūb al-Ansārī getan hatte. ‘Abd Allāh befragte daraufhin Abū Ayyūb, warum er dies getan habe, worauf dieser antwortete: „Ich hörte den Gesandten Allāhs – Segen und Friede seien auf ihm – sagen: „Allāh wird diejenigen, die eine Mutter von ihrem Kind trennen, am Tag des Jüngsten Gerichts von all jenen trennen, die sie lieben![6]

Wie dieser Vorfall deutlich zeigt, verlangt die Liebe zu Allāh und Seinem Propheten – Segen und Friede seien auf ihm –, dass man allen Geschöpfen mit Mitgefühl, Zuneigung und Liebe begegnet. Dies ist so, weil die vorzüglichsten Früchte des Glaubens Liebe und Barmherzigkeit sind. Das folgende lehrreiche Beispiel demonstriert die Segnungen, die Mitgefühl und Liebe gegenüber den Geschöpfen mit sich bringen, und wie solche Charaktereigenschaften den Menschen zur Quelle des Glaubens hinführen:

Während des goldenen Zeitalters [‘asr al-sa‘āda] zu Lebzeiten des Propheten – Allāh segne ihn und schenke ihm Frieden – gab es unter seinen Gefährten einen Mann namens Hakīm ibn Hizām, der ein Verwandter der ehrwürdigen Khadīja, der Ehefrau des Propheten, war. Hakīm war bekannt für seine großzügige Hilfsbereitschaft, sein Mitgefühl und seine Wohltätigkeit. In der vorislamischen Zeit der Unwissenheit [jāhiliyya] hatte er Familien deren Töchter abgekauft, die beabsichtigten, diese zu töten, weil sie kein Mädchen haben wollten. Er hatte diese Mädchen unter seine Obhut genommen und aufgezogen. Einmal fragte er den Propheten bezüglich dieser guten Werke, die er getan hatte, bevor er den Islam annahm. Der Prophet – Allāh segne ihn und schenke ihm Frieden – antwortete ihm: „Diese guten Taten sind die Ursache dafür, dass dir die Ehre des Islam zuteil geworden ist.[7]

Wenn es für diejenigen, die fern des wahren Glaubens leben, den größten denkbaren Lohn, nämlich die Ehre der Annahme der wahren Religion, mit sich bringt, wenn sie den Geschöpfen voller Mitgefühl begegnen, ist es logisch, dass ein solches Verhalten jenen, die bereits Gläubige sind, um so größeren Gotteslohn bringen sollte. Wahrer Glaube ist das größte Geschenk Allāhs an Seine Diener; und unser Herr gebietet uns, dieses Geschenk unser Leben lang, bis zu unserem letzten Atemzug, sorgfältig zu bewahren. Im Edlen Qur’ān heißt es:

{O ihr, die ihr glaubt, fürchtet Allāh, wie es Ihm gebührt, und sterbt nicht anders, denn als gläu­big Gottergebene.} (3:102)

Zu den kostbarsten Früchten der Segnungen des Glaubens gehören die Betrachtung der Schöpfung aus der Sichtweise ihres Schöpfers und die Gabe, allen Geschöpfen in Liebe gegenüberzutreten. Dies erhebt den Diener empor zu immer höheren Stufen und lässt ihn eintreten in eine Welt der Vergebung, Barmherzigkeit und Liebe. Mit diesen Eigenschaften ausgestattet, wird er zu einem Segen für die gesamte Schöpfung. Der große Gottesfreund Meister Jalāl al-Dīn Rūmī illustriert diesen Punkt mit folgendem höchst lehrreichen Exempel:

Einmal kam ein Betrunkener zu seinem Sufi-Konvent, als dort gerade eine Zusammenkunft mit einer Ansprache [suhba] stattfand. Die Derwische und Schüler wollten, dass er ging und versuchten, ihn mit Beschimpfungen davonzujagen. Meister Jalāl al-Dīn Rūmī hingegen behandelte den Betrunkenen wie einen, der gekommen war, den wahren Glauben zu suchen, und sagte, an jene gewandt, die den Betrunkenen beschimpft hatten: „Obwohl es offensichtlich ist, dass er es ist, der Wein getrunken hat, scheint es mir, dass ihr diejenigen seid, die dem Rausch anheim gefallen sind!

Diese Geschichte liefert ein konkretes Beispiel dafür, dass die natürliche Abscheu gegen eine Sünde nicht verallgemeinert auf den, der sie begangen hat, übertragen werden darf. Im Gegenteil: Man sollte einen Sünder wie einen verletzten Vogel betrachten, der mitfühlende Behandlung verdient, und ihm einen Platz im Palast des Herzens gewähren, wo ihm Erziehung und Rechtleitung zuteil werden können. Scheikh Ahmad Yesevī formuliert dies in den wunderbaren Worten:

Wo auch immer du einem begegnest, dessen Herz gebrochen ist, sei Medizin für ihn!

Wenn solch ein Entmutigter seinen Weg nicht mehr weiter gehen kann, teile sein Leid mit ihm!

Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass die Gemeinschaft der Gläubigen, deren Segnungen wir heute genießen, ein Erbe des Goldenen Zeitalters des Propheten Muhammad – Allāh segne ihn und schenke ihm Frieden – ist. Die bedeutenden Prophetengefährten und Gottesfreunde unternahmen die größtmöglichen Anstrengungen, den nachfolgenden Generationen dieses heilige Vermächtnis vollständig zu übermitteln. Ihre Lebensläufe gleichen Umlaufbahnen, in deren Zentrum sich stets die Liebe zu Allāh befand. So wurden sie zu Sternen am Firmament unseres Glaubens, zu Lehrern in der Schule der Wahrheit, zu Segnungen und zur Barmherzigkeit für unser tägliches Leben, zum Licht unserer Tage, und zu Zeugen Allāhs, des majestätisch Erhabenen, auf Erden.

Die außergewöhnlichen Opfer und Anstrengungen des Propheten, seiner Gefährten, der Heiligen und der rechtschaffenen Diener Allāhs auf dem Wege Seiner Religion – allesamt geprägt von vollkommener Gottesliebe – sollten uns als Vorbild dienen. Wir sind dafür verantwortlich, dieses göttlich anvertraute Gut niemals zu verlieren und alle Anstrengungen zu unternehmen, es ganz und in seiner ursprünglichen Reinheit und Klarheit für zukünftige Generationen zu bewahren; und dies wird von entscheidendem Einfluss auf unser ewiges Glück im Jenseits sein. Die Herzen der wahrhaft Gläubigen sollten ständig die höchsten Stufen der Freude des Glaubens und der Gottesliebe empfinden, denn wahres Glück beginnt in der Tat erst mit dem Überschreiten der Begrenzungen aller unbedeutenden, vergänglichen Formen von Liebe.

Voraussetzung für das Erreichen zeitlos ewiger Segnungen ist die Befreiung aus der Sklaverei vergänglicher Liebe. Es ist nur möglich, das Herz von solch vorübergehenden Formen der Liebe leer zu machen, wenn bei jeder Form von Liebe eine Verbindung zum endgültigem Ziel aller Liebe, das heißt, zur Gottesliebe, der Liebe zu Allāh, hergestellt wird. Alle guten Taten, wie die Liebe zu Volk und Vaterland, die Liebe für Kinder und Familie, Brüderlichkeit in der Religion, Gottesdienst, Wohltätigkeit und vortreffliches Benehmen, führen zur göttlichen Liebe und zum göttlichem Wohlgefallen, wenn sie in der Liebe zu Allāh gegründet sind.

Die tiefe Liebe der Gefährten zu Allāh und Seinem Gesandten – Segen und Friede seien auf ihm – und die daraus erwachsende Art und Weise, die Schöpfung aus der Sichtweise ihres Schöpfers zu betrachten, sind Beispiele dafür. Ihnen gelang es, ihr gesamtes Dasein in Liebe zu Allāh hinzugeben. Selbst diejenigen Gefährten, die über keinen nennenswerten Besitz verfügten, opferten, ohne zu zögern, was immer sie im Laufe ihres Lebens verdient hatten, um nicht von Allāh und Seinem Gesandten – Allāh segne ihn und schenke ihm Frieden – getrennt, sondern mit ihm vereint zu sein.

Der Dichter Fuzūlī beschreibt im folgenden Gleichnis das Herz als Zentrum der Liebe, und wie der Mensch sich ganz und gar in Liebe verlieren kann:

Während Majnūn in Laylas Dorf umherirrte, kamen Fremde und fragten ihn, wo das Haus Laylas sei.

Majnūn antwortete: „Müht euch nicht vergeblich mit der Suche nach ihrem Hause ab!“

Dann zeigte er auf sein Herz und sagte: „Dies ist der Ort, wo die Wohnstatt Laylas ist.“

Wir sollten über dieses Gleichnis nachdenken und uns fragen, in wieweit unsere Herzen Orte sind, auf denen der göttliche Blick ruht. Mit anderen Worten: In welchem Maße sind unsere Herzen erfüllt von der Liebe zu Allāh und seinem Gesandten – Allāh segne ihn und schenke ihm Frieden? Spiegelt sich in unseren Gebeten und in unserem Tun die Freude des Glaubens wider? Oder ist das Wort Liebe nur eine leere Floskel, die nicht über unsere Lippen hinausgeht und niemals wirklich unser Herz erreicht? Wie weit sind unser Herzschlag, unsere Einstellungen und unser Tun im Einklang mit dem Qur’ān und der Sunna? In welchem Maße sind wir fähig, vergängliche weltliche Segnungen in Mittel zur Er­langung göttlicher Liebe zu verwandeln?

Wir sollten unseren eigenen Zustand überprüfen, entsprechend jenem Grundsatz, den der Kalif ‘Umar – möge Allāh mit ihm zufrieden sein – zum Ausdruck brachte, als er sagte: „Leg Rechenschaft vor dir selbst ab, bevor du vor dem göttlichen Gericht Rechenschaft ablegen musst![8]

Welch großes Glück ist jenen beschieden, die sich ein Beispiel an der vorbildlichen Persönlichkeit und Spiritualität des Propheten – Allāh segne ihn und schenke ihm Frieden – nehmen, und auf diese Weise die erhabene Wirklichkeit göttlicher Liebe erfahren dürfen!

 

O unser Herr, gewähre unseren Herzen die Zierde der Segnungen des Glaubens! Lass uns die Hässlichkeit des Unglaubens und des Ungehorsams deutlich erkennen und uns von ihnen fernhalten, wie es uns befohlen wurde! Lass uns jene lieben, die Du liebst und jene verabscheuen, die Du verabscheust! Und lass uns erfüllt von Liebe zu Dir, zu Deinem ehrwürdigen Gesandten und zu denen, die Du liebst, aus dieser Welt scheiden!

Āmīn!

 

[1] Überliefert in Sahīh al-Bukhārī, al-Riqāq, 38.

[2] Fanā’ fī al-Rasūl bedeutet, durch Unterwerfung des Egos [nafs] das Herz von sämtlichen Eigenschaften zu befreien, die der Sunna des Propheten – Allāh segne ihn und schenke ihm Frieden – widersprechen.

[3] Überliefert in Tabaqāt Ibn Sa‘d, Bd. III, 258.

[4] Überliefert von Abu Nu‘aym in Ma‘rifa al-Sahāba.

[5] Überliefert in Sahīh al-Bukhārī, Kitāb al-Maghāzī, 10, sowie von al-Wāqidī in seinem al-Maghāzī, S. 280-281.

[6] Überliefert von Ahmad bin Hanbal in seinem Musnad, Bd. V, 422; sowie in Tirmidhīs Sunan, Kitāb al-Buyū‘, 52; Nr. 1283.

[7] Überliefert von al-Bukhārī und Muslim in ihren Sahīhs, sowie von Ahmad in seinem Musnad.

[8] Überliefert von Ibn Kathīr in seinem Tafsīr, Bd. I, 27.