Spenden (Infâq, Sadaqa)

Das Geben um Allahs willen (Infâq) wird im heiligen Qur’ân mehr als 200-Mal erwähnt. Dies belegt unzweifelhaft, dass es zu den unverzichtbaren Eigenschaften eines wahrhaft Gläubigen gehört, seinen Besitz in den Dienst der Sache Allahs zu stellen.

Zu Beginn seiner Mission traf sich der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – zweimal heimlich mit Leuten aus Medina an einem Ort namens ´Aqaba. Beide Male nahm er diesen Gruppen, die von Medina kamen, um sich ihm anzuschließen, den Treueschwur ab. Beim zweiten Treueschwur von ´Aqaba fragte ´Abdullah ibn Rawâha den Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden:

„O Gesandter Allahs, was machst du im Namen Allahs und in deinem Namen für uns zur Bedingung, um unseren Treueschwur zu akzeptieren?“

Die Bedingung im Namen Allahs ist, dass ihr allein Ihn anbetet und Ihm keine Partner beigesellt. Meine Bedingung ist, dass ihr mich genauso schützt, wie ihr euch und euren Besitz schützt.

Da fragten sie: „Wenn wir das tun, was wird unser Lohn dafür sein?“

Der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – antwortete: „Das Paradies!“

Äußerst zufrieden mit dem versprochenen Lohn sagten die Leute von Medina:

„Welch guter und Gewinn bringender Handel! Wir werden niemals unser Versprechen brechen und wir wünschen, dass niemals irgendjemand sein Versprechen dir gegenüber bricht!“[1]

Daraufhin offenbarte Allah der Allmächtige den folgenden Vers:

Allah hat von den Gläubigen ihr Leben und ihren Besitz erkauft, dafür dass ihnen das Paradies gehört - Sie kämpfen für die Sache Allahs, sie töten und werden getötet - ein für Ihn bindendes Versprechen in der Taurât (Thora) und im Injîl (Evangelium) und im Qur’ân. Und wer hält sein Versprechen getreuer als Allah? So freut euch eures Handels, den ihr mit Ihm abgeschlossen habt, denn das ist wahrlich die größte Glückseligkeit.“ (9:111)

Wie erkauft Allah unser Leben und unseren Besitz? Märtyrertum, das Hingeben unseres Lebens für Allah, bedeutet in der Tat, es an Allah zu verkaufen. Sumayya – möge Allah mit ihr zufrieden sein –, die erste der Muslime, die wegen ihres Glaubens getötet wurde, opferte freiwillig ihr Leben auf dem Wege Allahs. So erkaufte sie ihren Anteil am Paradies und erwarb einen Ehrenplatz im Herzen der Gläubigen, in Erwartung des Tages des Jüngsten Gerichts, um ihren himmlischen Lohn zu erhalten. Entsprechend ihrem Beispiel sollten auch wir, wenn es darum geht, wohltätig zu sein, uns von ganzem Herzen einsetzen.

In der Dardanellenschlacht bei Canakkale (Gallipoli) verfügten die türkischen Truppen nicht einmal über ausreichende Munition, doch aufgrund ihrer Bereitschaft, ihr Leben einzusetzen, besiegten sie ihre Feinde. Die Geschichte ist voller ähnlicher Beispiele dafür, wie diejenigen, die ihr Leben und ihren Besitz auf dem Wege Allahs opfern, letztendlich den Sieg erringen.

Das Opfern des Besitzes geschieht durch das Geben wohltätiger Spenden. Allah der Allmächtige sagt dazu, in der Aufzählung der Eigenschaften der Gottesfürchtigen:

Dies ist das Buch an dem es keinen Zweifel gibt, eine Rechtleitung für die Gottesfürchtigen, die an das Verborgene glauben und das Gebet verrichten und von dem ausgeben, womit Wir sie versorgt haben.“ (2:2-3)

Wohltätigkeit existiert in vielen verschiedenen Formen. Sie beginnt damit, das zu geben, was gerade vorhanden ist. Selbst eine halbe Dattel zu geben gilt als ein Akt der Wohltätigkeit und selbst diese winzige Gabe kann ausreichen, den Gläubigen vor dem Höllenfeuer zu retten. In den Augen des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – sind alle Muslime reich, weil jeder in irgendeiner Form in der Lage ist, etwas zu geben. So hat er – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – die Gläubigen informiert, dass Allah zu lobpreisen, Gutes zu gebieten, Unterdrückten beizustehen, den Gläubigen aufrichtigen guten Rat zu geben, die Herzen der Muslime zu erfreuen und das Entfernen gefährlicher Gegenstände vom Wege allesamt wohltätige Handlungen sind. Der wahre Reichtum des Islam liegt in den Herzen der Muslime. Menschen sind immer so reich, wie sie sich fühlen. Das Lächeln derjenigen, die Reichtum in ihren Herzen tragen und diesen so an die Menschen verteilen, gilt im Islam als wohltätige Spende. Und welche Art von Wohltätigkeit könnte wohl besser sein, als die, die darin besteht, die Menschen um uns herum glücklich zu machen? Mit anderen Worten besteht wahrer Wohlstand nicht im Anhäufen und Besitzen von Gütern, sondern im Reichtum des Herzens. Die wahren Muslime, die den Reichtum in ihren Herzen tragen, geben freigiebig von dem, was sie besitzen. Die Wohltätigkeit ist der vollkommene Ausdruck der Empfindungen eines Gläubigen, seines Erfüllt-Seins mit dem Gefühl der Barmherzigkeit und der Bereitschaft zur Aufopferung für andere.

Die Biographien der Prophetengefährten – Allah segne ihn und sie und schenke ihm und ihnen Frieden – sind voller Beispiele für diese Haltung. Eines der beeindruckendsten Exempel der Bereitschaft zur Selbstaufopferung finden wir im Leben des Khalîfen ´Umar ibn al-Khattâb – möge Allah mit ihm zufrieden sein. Nach der (unblutigen) Einnahme Jerusalems durch seine Truppen machte er sich, gemeinsam mit einem Sklaven, von Medina aus auf den Weg, um die Stadtschlüssel in Empfang zu nehmen. Während der Reise wechselten sie sich dabei ab, auf dem einen Kamel zu reiten, das ihnen als Transportmittel diente, so dass immer einer ritt während der andere lief. Als sie sich der Stadt Jerusalem näherten, war gerade der Sklave am Zuge, auf dem Kamel zu reiten. Er wollte absteigen, damit der Khalîf in die Stadt einreiten könne, doch der bestand darauf, dass der Sklave, wie es sein Recht war, im Sattel blieb, und ´Umar selbst betrat die Stadt zu Fuß.

Ein anderes Beispiel findet sich im Beispiel des vierten Khalîfen und Schwiegersohns des Propheten – Allah segne ihn und seine Familie und schenke ihm und ihnen Frieden – ´Alî ibn Abî Tâlib. Seine ganze Familie hatte tagsüber gefastet und sie hatten nur wenig Essen, um ihr Fasten zu brechen. Als jedoch abends ein Bedürftiger kam und um etwas zu essen bat, gaben sie ihm das ganze Essen. Als am nächsten Tag die Zeit des Fastenbrechens mit dem Sonnenuntergang nahte, kam eine Waise und bat um etwas zu essen. Und wieder gaben sie ihr Essen weg. Am folgenden Tag hatten sie schließlich etwas mehr Essen im Haus, doch als ein Sklave kam und sie um Essen bat, verschenkten sie es wiederum und gaben damit ein wohl kaum zu überbietendes Beispiel an Selbstaufopferung und großzügiger Freigiebigkeit.

Diese von Herzen kommende Großzügigkeit kennzeichnete die Gefährten des Propheten – Allah segne ihn und sie und schenke ihm und ihnen Frieden – bis hin zu ihren letzten Atemzügen. Während der Schlacht von Yarmûk brachte einer von ihnen drei im Sterben liegenden Prophetengefährten Wasser zu trinken. Jeder von ihnen weigerte sich zu trinken, bevor nicht sein verwundeter Kamerad getrunken hätte, so dass schließlich alle drei verstarben, ohne dass einer von ihnen die Gelegenheit zum Trinken genutzt hätte.

Dies sind die erhabensten Beispiele großzügiger Wohltätigkeit, die mit dem arabischen Wort Îthâr[2] bezeichnet werden. Îthâr ist mehr als wohltätiges Spenden, es bedeutet, auf sein Recht zu verzichten und anderen den Vorzug vor sich selbst zu geben. Diese Art von Wohltätigkeit ist in den modernen Gesellschaften der heutigen Zeit so gut wie ausgestorben. Die Menschen begreifen einfach nicht, weshalb man derart großzügig sein sollte. Wenn wir jedoch einmal versuchen, uns vorzustellen, wie die Welt aussähe, wenn jeder Einzelne das Wohl der Anderen über das eigene stellte, würden wir erkennen, dass wir durch ein solches Verhalten in dieser Welt wie in einem Paradies leben könnten. Deshalb sollten wir zumindest die einfachen Muslime dazu ermuntern, ihre Pflichtabgabe zu entrichten und darüber hinaus nach Vermögen wohltätig zu sein. Außerdem erscheint es sinnvoll, die Verteilung der Spenden in möglichst professioneller Weise zu organisieren und aufrichtige und arbeitsame Leute dazu auszubilden, so dass sie diese Aufgabe übernehmen können. Daneben gehört es zu den Aufgaben der Gemeinschaft der Muslime, Krankenhäuser, Unterkünfte für Wohnungslose und Suppenküchen für Bedürftige einzurichten.

Kurz gesagt gehört Großzügigkeit beim Geben von Spenden zweifelsohne zu den grundlegenden Charaktereigenschaften eines jeden Gläubigen, wie auch in den Worten Allahs im heiligen Qur’ân zum Ausdruck kommt:

... diejenigen, die (freigiebig) spenden, in guten wie in schlechten Zeiten, und (ihren) Zorn zurückhalten und den Menschen vergeben. Und Allah liebt die Rechtschaffenen.“ (3:134)

Jâ´far as-Sâdiq, eine der wichtigsten Persönlichkeiten unter den Nachfahren des Propheten – Allahs Segen und Friede seien auf ihm, seiner Familie und seinen Gefährten – verwirklichte all die im obigen Vers genannten Eigenschaften. Er besaß einen Sklaven, der sich um den Haushalt kümmerte. Dieser brachte Jâ´far – möge Allah mit ihm zufrieden sein – eines Tages eine Schüssel voller Suppe und goss dabei, aus Versehen, die ganze Suppe über Jâ´fars Kleider. Als dieser den Sklaven voller Unmut anschaute, sagte jener:

„O mein Herr! Allah der Allmächtige beschreibt die Gläubigen im Qur’ân als diejenigen die ‚ihren Zorn zurückhalten’!“

Darauf antwortete ihm Jâ´far – möge Allah mit ihm zufrieden sein: „Ich halte meinen Zorn zurück.“

Da sagte der Sklave: „Und Allah der Allmächtige sagt, dass die Gläubigen diejenigen sind, die ‚den Menschen vergeben’.“

Jâ´far – möge Allah mit ihm zufrieden sein – antwortete: „Ich vergebe dir deinen Fehler.“

Darauf sagte der Sklave: „Und Allah sagt ebenfalls im heiligen Qur’ân, dass Er diejenigen liebt, die ‚freigiebig spenden’.“

Als er diese edlen Worte aus dem Munde seines Sklaven hörte, sagte Jâ´far – möge Allah mit ihm zufrieden sein: „Ich schenke dir hiermit deine Freiheit, du kannst als freier Mann gehen wohin du willst!“

Auf diese Weise setzte er alle in diesem Vers enthaltenen Gebote in die Tat um und wurde zu einem Vorbild für die gesamte Umma.

Wie der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – berichtete, vergab Allah der All-Verzeihende einer Sünderin wegen ihrem Mitgefühl für einen durstigen Hund, dem sie zu trinken gab. Sie ging ins Paradies ein, für diesen kleinen Akt der Barmherzigkeit, während eine andere Frau in die Hölle ging, weil sie, ohne jedes Mitgefühl, eine Katze eingesperrt hatte und diese verhungern ließ.

All dies sind wichtige Beispiele und Hinweise darauf, wie sich ein Gläubiger verhalten sollte: Er sollte stets mitfühlend, bereit zur Aufopferung und großzügig sein.

Und die wahre Großzügigkeit, die von Allah angenommen wird, besteht darin, von dem zu geben, was einem lieb und teuer ist. Von dem zu geben, was für einen selbst wertlos ist, kann sicher nicht als echte Wohltätigkeit betrachtet werden.

Im goldenen Zeitalter des Islam, zu Zeiten des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden –, versorgten die Menschen die armen Gefährten, deren einzige Bleibe die Moschee war. Sie wurden die ‚Leute der Bank’[3] genannt und ihr einziges Bestreben war, den Glauben zu studieren, so dass sie keiner anderen Beschäftigung nachgingen. Der Prophet – Allahs Segen und Friede seien auf ihm und all seinen Gefährten – und die Wohlhabenden unter seinen Gefährten versorgten sie mit allem, einschließlich ihrer Nahrung. Einmal geschah es, dass jemand ihnen verdorbene Datteln schickte. Weil sie hungrig waren und es sonst nichts gab, blieb den ‚Leuten der Bank’ nichts anderes übrig, als diese verdorbenen Datteln zu essen. Auf diesen traurigen Vorfall hin offenbarte Allah der Allmächtige die folgenden warnenden Worte:

O ihr Gläubigen, spendet von dem Guten, das ihr erworben habt und dem, was Wir für euch aus der Erde hervorkommen lassen! Und sucht zum Spenden nicht das Schlechte aus, das ihr selbst nicht nehmen würdet, außer mit verschlossenen Augen. Und wisset, Allah ist reich und würdig des Lobpreises.“ (2:267)

Und in einem weiteren Vers verspricht Allah Seine göttliche Nähe denjenigen, die von dem spenden, was ihnen lieb ist:

Ihr werdet keine Rechtschaffenheit erlangen, bis ihr von dem spendet, was ihr liebt. Und was immer ihr spendet, wahrlich, Allah weiß es genau.“ (3:92)

Als dieser Vers offenbart wurde, begannen die Gefährten des Propheten – Allahs Segen und Friede seien auf ihm und all seinen Gefährten – sich selbst zu fragen, welche ihrer wertvollsten und meistgeliebten Besitztümer sie wohl am besten spenden sollten, denn sie spürten die Worte der Offenbarung, die ihnen der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – verkündete, tief im Innersten ihres Wesens. So befragten sie sich selbst, um wirklich das zu geben, was ihnen am liebsten war. Auf einmal erhob sich einer der Gefährten namens Abû Talha – möge Allah mit ihm zufrieden sein –, dessen Gesicht vom Glanz des Glaubens hell erstrahlte. Er besaß einen großen Garten mit 600 Dattelpalmen, ganz nahe der Prophetenmoschee, und er liebte diesen Garten sehr. Oft hatte er den Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – dorthin eingeladen und dieser hatte ihn und seinen Garten gesegnet. Abû Talha – möge Allah mit ihm zufrieden sein – sagte:

„O Gesandter Allahs! Am meisten liebe ich von all meinem Besitz den Dattelgarten hier in der Stadt, den du auch kennst. In diesem Moment gebe ich ihn um Allahs willen dem Gesandten Allahs. Du kannst damit tun, was du willst und ihn den Armen geben.“

Daraufhin ging er zu dem Garten und fand seine Frau darin im Schatten eines Baumes sitzen. Er blieb außerhalb des Gartens stehen und seine Frau fragte ihn:

„O Abû Talha, warum wartest du dort draußen? Komm doch herein!“

Da antwortete ihr Abû Talha – möge Allah mit ihm zufrieden sein:

„Ich kann nicht hineinkommen und auch du solltest deine Sachen nehmen und herauskommen!“

Auf diese unerwartete Antwort hin sagte seine Frau:

„Warum denn, o Abû Talha? Ist das denn nicht unser Garten?“

„Nein“, sagte er, „dieser Garten gehört jetzt den Armen von Medina,“

und er rezitierte für sie die frohe Botschaft des eben geoffenbarten Qur’ânverses und berichtete ihr, wie er daraufhin sofort diesen Garten gespendet hatte.

Seine Frau fragte: „Hast du ihn in unserer beider Namen oder nur in deinem eigenen gespendet?“

„In unserer beider Namen“, antwortete Abû Talha – möge Allah mit ihm zufrieden sein.

Die Antwort seiner Frau auf diese Worte erfreute und beruhigte ihn zugleich, denn sie sagte:

Möge Allah mit dir zufrieden sein, o Abû Talha! Ich habe oft an das Gleiche gedacht, wenn ich die Armen um uns sah, doch habe ich mich nie getraut, es dir zu sagen. Möge Allah deine Spende annehmen! Ich verlasse jetzt den Garten und komme mit dir.

Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, welches Klima von Glück und Zufriedenheit die Welt erfassen würde, wenn diese Denkweise in den Seelen der Menschen Wurzeln schlüge.

Die Kommentatoren erklären, dass in dem oben zitierten Vers das arabische Wort ‚al-Birr’, Rechtschaffenheit, die höchste Stufe von Wohltätigkeit, das Paradies, die Gnade Allahs und Sein Zufriedensein mit uns zum Ausdruck bringt. Und in einem anderen Vers wird die Bedeutung dieses Wortes erklärt:

Die Rechtschaffenheit besteht nicht darin, eure Angesichter in Richtung Osten oder Westen zu wenden. Rechtschaffenheit ist vielmehr, an Allah zu glauben, an den Jüngsten Tag, die Engel, an die Schrift und die Propheten und vom Besitz, obwohl man ihn liebt, den Verwandten, den Waisen, den Armen, dem Reisenden, den Bettlern und Sklaven zu spenden, das Gebet zu verrichten und die Zakât geben. Diejenigen, die ihre Versprechen halten, nachdem sie sie gegeben haben, und diejenigen, die in Elend, Not und Krieg geduldig sind - sie sind es, die wahrhaftig sind und sie sind es, die gottesfürchtig sind.“ (2:177)

Dementsprechend haben jene, die durch ihre Wohltätigkeit die Stufe von al-Birr erreicht haben, gleichzeitig alle anderen damit verbundenen vorzüglichen Qualitäten erworben. Der Prophet – Allah segne ihn und schenke im Frieden – betonte dies, indem er sagte:

„Wer diesen Vers in seinem Leben in die Tat umsetzt, dem wird Allah Vollkommenheit in seinem Glauben schenken.“[4]

In unseren Tagen sind Brüderlichkeit und Solidarität zu Fremdwörtern geworden und Hass und Feindschaft innerhalb der Gesellschaft werden immer größer, weil die Probleme der Armen ignoriert werden. Um diesen schlechten Gefühlen entgegenzutreten, bedarf es einer Kampagne der Wohltätigkeit und Spenden. Wir brauchen uns nur vorzustellen, selbst in den Schuhen der Armen zu stecken und ihnen dann, aus Dankbarkeit Allah gegenüber, unsere Unterstützung zukommen zu lassen.

Der große Sufi-Meister ´Azîz Mahmûd Hudayî rief selbst die Könige zu einer Wohltätigkeitskampagne auf. In einem Brief an Sultân Selim III. schrieb er:

„So wie Euer Großvater Sulaymân der Prächtige den Bewohnern Istanbuls von weit entfernten Quellen Wasser brachte, solltet Ihr den Armen Feuerholz für diesen Winter zukommen lassen!“

Die Bekämpfung der Armut und derartige Spenden-Kampagnen sind nicht nur wichtig für uns selbst, sondern auch von größter Bedeutung für unsere Familien. Genau wie wir unseren Kindern in jungen Jahren das Gebet beibringen, sollten wir sie lehren, wohltätig zu sein und die Sorgen anderer zu teilen. Dies ist eine Verpflichtung, der wir nachkommen müssen, solange sie noch jung sind, weil sie ansonsten als Erwachsene nicht dazu bereit sein werden, dies zu tun. Sie sollten in dem Wissen aufwachsen, dass aller Besitz in Wirklichkeit Allah gehört.

Diejenigen, die im Islam aufrichtig sein wollen, sollten niemals aufhören, um Allahs willen wohltätig zu sein, selbst wenn ihre Mittel begrenzt sind. Wir sollten die Last derer auf uns nehmen, die in einer schlechten Lage sind oder zumindest darum beten, dass es ihnen besser geht. Selbst gefühlsmäßig ihre Sorgen zu teilen, wird von Allah dem Allmächtigen als Wohltätigkeit anerkannt. Wir sollten dabei auch bedenken, dass heutzutage eine der wichtigsten Formen von Wohltätigkeit darin besteht, Menschen auszubilden, die in Hilfseinrichtungen arbeiten, und deshalb für derartige Institutionen spenden. Wie einmal ein großer Denker sagte:

„Der Unterschied zwischen den entwickelten und den unterentwickelten Ländern besteht in ein paar gut ausgebildeten Leuten.“

Die Welt dürstet förmlich nach dieser Art von gut ausgebildeten Leuten. Wenn der Islam sich in einem schrecklichen Zustand präsentiert und die Muslime unter Ungerechtigkeiten leiden, liegen die Ursachen dafür vielfach darin, dass wir nicht über eine ausreichende Zahl von qualifizierten Leuten verfügen. Wir müssen unsere Bequemlichkeit abschütteln und anfangen, uns darum zu bemühen, vorbildliche Muslime zu werden. Und dies ist nur durch unsere Aufopferung zum Wohle der Menschen möglich.

Das Einrichten von wohltätigen Stiftungen[5] macht diese Opferbereitschaft und Wohltätigkeit zu einer festen Institution. Das Gründen wohltätiger Stiftungen bedeutet, Wohlstand in den Dienst Allahs zu stellen und so ewigen Nutzen daraus zu ziehen. Die Vollkommenheit des Islam kann nur verwirklichen, wer Allahs Geschöpfen mit einem freundlichen Gesicht Barmherzigkeit und Liebe entgegenbringt. Das Opfern unseres Wohlstandes und unseres eigenen Lebens ist in der Tat der Preis, für den wir uns das Paradies erkaufen können.

Unser Besitz und unsere Nachkommenschaft besitzen die größte Kraft, uns vom Wege Allahs abzulenken. Um uns vor diesen Gefahren zu warnen, hat Allah der Allmächtige im heiligen Qur’ân die Verse offenbart:

„Euer Besitz und eure Kinder sind wahrlich eine Versuchung, doch bei Allah ist gewaltiger Lohn.“ (64:15)

„O ihr Gläubigen, lasst euch durch euren Besitz und eure Kinder nicht vom Gedenken Allahs abhalten. Und die dies (dennoch) tun, sie sind die Verlierer.“ (63:9)

„So fürchtet Allah, soviel ihr könnt, und hört und gehorcht und spendet, es ist besser für euch selbst. Und die von ihrer eigenen Habsucht befreit sind - sie sind die Erfolgreichen. Wenn ihr Allah ein gutes Darlehen gebt, so wird Er es euch vielfach vermehren und euch vergeben und Allah ist dankbar, nachsichtig...“ (64:16-17)

Wie man den obigen Versen entnehmen kann, prüft der Islam die Reichen mit Hilfe der Armen und Schwachen im Hinblick auf die Fragestellung, ob sie ihrer Verantwortung gerecht werden und ihre Verpflichtungen erfüllen oder nicht. Die Tore des Paradieses öffnen sich für die Reichen durch die Gebete der Armen. Durch Wohltätigkeit und Spenden wird verhindert, dass Reichtum zu einer Krebsgeschwulst im Körper der Gesellschaft wird. Deshalb sind wohltätige Stiftungen Denkmäler der Barmherzigkeit und der beste Ort, Wohltätigkeit zu verteilen. Sie sind eine Brücke zwischen den Bedürftigen und den Wohlhabenden. Durch die Existenz einer Vielzahl solcher Einrichtungen wird den Gefühlen von Abneigung und Hass zwischen Armen und Reichen der Nährboden entzogen.

Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass unsere Vorfahren, die Osmanen, Hunderttausende wohltätiger Stiftungen eingerichtet hatten. Und, obwohl viele davon im Verlauf der jüngeren Geschichte regelrecht geplündert wurden, bestehen davon heute noch immer 26.798. Die Osmanen, die ihren Glauben in aufrichtiger Weise praktizierten, demonstrierten der Welt durch diese Stiftungen die grenzenlose Barmherzigkeit des Islam. Diese Barmherzigkeit war so groß, dass sie sich nicht nur auf die Mitmenschen beschränkte, sonder sogar die Tierwelt mit einbezog. Manche der Stiftungen widmeten sich der Pflege von Tieren, die verletzt waren oder ihr natürliches Winterquartier nicht erreichen konnten. Ein dicht geknüpftes Netzwerk von Stiftungen durchdrang die ganze Gesellschaft und nahm sich aller Arten gesellschaftlicher Probleme an.

Wohltätige Stiftungen sind Ausdruck des Verantwortungsgefühls der Muslime gegenüber der Gesellschaft. Sie sind ein Resultat des Glaubens, der uns lehrt, die Geschöpfe um ihres Schöpfers willen zu lieben. Allah der Allmächtige hat den Menschen in diesem Leben für eine begrenzte Zeit all die vielfältigen Möglichkeiten und Fähigkeiten als anvertrautes Gut zur Verfügung gestellt. Besitz, Nachkommenschaft und Gesundheit sollten deshalb dementsprechend gewürdigt und auf dem Wege Allahs genutzt und eingesetzt werden. Auf diese Weise erwachsen uns daraus im Jenseits Segnungen und edler Lohn.

Als die Gefährten des Propheten – Segen und Friede Allahs seien auf ihm und auf ihnen – die Gebote Allahs bezüglich des Gebens von Spenden hörten, brachten sie, was immer sie besaßen, zum Propheten. Der Vers

Wissen sie denn nicht, dass es Allah ist, der die Reue Seiner Diener akzeptiert und die Wohltätigkeit annimmt, und dass Allah der Allvergebende, der Barmherzige ist?“ (9:104)

gab ihnen die stärkste Motivation, von ganzem Herzen großzügig zu spenden.

Wir sollten uns auch bewusst sein, dass Wohltätigkeit sich keineswegs auf das rein Materielle beschränkt. Was immer Allah uns gegeben hat, sollten wir auf Seinem Wege und in Seinem Sinne nutzen. Die Prophetengefährten – der Segen und Friede Allahs seien auf ihm und auf ihnen – gaben ihr Leben und ihren Besitz, um die Menschen zum Islam einzuladen. Sie gelangten bis an die äußersten Enden der zu ihrer Zeit bekannten Welt, in dem Bemühen, die Religion Allahs zu verbreiten. Qusam ibn ´Abbâs und Muhammad ibn ´Uthmân ibn Affân waren zwei Beispiele für solch vollkommenen persönlichen Einsatz im Dienste des Glaubens. Sie reisten bis nach Samarqand, um das Licht des Islam zu verbreiten, was dazu führte, dass diese Gegend später einige der größten Gelehrten des Islam, wie Imâm Bukhârî, Imâm Qasânî, Imâm Tirmidhî, Shâh Bahâ’uddîn Naqschband und viele andere, hervorbrachte.

In ähnlicher Weise besteht heutzutage eine der wichtigsten Formen von Wohltätigkeit darin, den Islam voll und ganz von Herzen zu praktizieren, um ihn so den Menschen unserer Tage als Lebensweise zu präsentieren.

 

[1] Ibn Kathîr, Tafsîr, II, 406

[2] Îthâr, Bevorzugung (anderer vor sich selbst)

[3] ‚Leute der Bank’, arabisch: ‚Ahlu s-Suffa’, weil sie ihre Zeit auf einer bankartigen Erhöhung hinter dem Hause des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – verbrachten.

[4] Nasâfî, Madârik at-Tanzîl, I, 249

[5] wohltätige Stiftungen, arabisch: Waqf, Pl. Auqâf