Offenbarung und Praxis: Die Rolle des Propheten

Dem Menschen würde es aufgrund seiner Wesensart schwerfallen, die göttliche Botschaft unmittelbar zu empfangen. Deshalb wurde diese Botschaft durch Engel, in für uns Menschen verständlicher Form aus der göttlichen Welt hinab in die menschliche Welt zum Propheten gesandt.

Die Aufgabe der Engel ist es gewesen, die Offenbarung sicher an den Propheten zu übermitteln und schützend darauf zu achten, dass der Prophet, aufgrund seines Menschseins, bei deren Verkündung keine Fehler begehe. Dieses Überwachen der Offenbarung, bei ihrem Empfang und ihrer Weiterleitung, diente dazu, sie sicher an die Menschen zu verkünden. Dieser Überwachungszustand, der Schutz durch die göttliche Kraft, wird durch den Begriff ‘Isma (Sündlosigkeit) beschrieben. Diese „Schutzausrüstung“ des Propheten galt weniger seinem biologischen oder physischen Schutz, sondern vielmehr dazu, die ihm anvertraute Offenbarung sicher weiterzuleiten. Folgender Vers zeigt dies sehr deutlich:

„Rühre nicht deine Zunge, es zu beschleunigen. Siehe, uns liegt seine (des Korans) Sammlung und Verlesung ob. Drum, wenn wir ihn verlesen, so folge seiner Verlesung. Alsdann liegt uns seine Erklärung ob.“ (al-Qiyama, 75/16-19).

Somit gelangte der Koran durch zwei verlässliche Boten, die Engel und die Propheten, zu den Menschen. In dem Moment, in dem die Offenbarung die Menschen erreicht hatte, stand sie unter dem Schutz Allahs: „Siehe, wir sandten die Warnung herab, und siehe, wir wollen sie hüten.“ (al-Hidschr, 15/9). Es ist nicht Allah persönlich, der die Heilige Schrift schützt, sie steht unter dem Schutz einer gerechten und gewissenhaften Gemeinde:

„Ihr seid die beste Gemeinde, die für die Menschen entstand. Ihr heißet, was Rechtens ist und ihr verbietet das Unrechte und glaubet an Allah. Und wenn das Volk der Schrift geglaubt hätte, wahrlich, es wäre gut für sie gewesen! Unter ihnen sind Gläubige, aber die Mehrzahl von ihnen sind Frevler.“ (Al-Imran, 3/110).

Bei der Vermittlung der heiligen Botschaft an die Menschen kommt der Prophetie eine erhebliche Bedeutung zu. Die von Gott gesandte Religion besteht in ihrer Gesamtheit aus Botschaften; und diese Botschaften werden vom Propheten übermittelt. Folglich hängen die Existenz und die Vertrauenswürdigkeit der Botschaft von der Existenz und Vertrauenswürdigkeit des Propheten ab. Ist eine der beiden fehlerhaft, so spiegelt sich dies in der Botschaft wider. Schließlich heißt es im Koran: „... wenn ein Nichtswürdiger mit einer Nachricht zu euch kommt, so stellt die Sache klar...“ (al-Hudschurat, 49/6), was deutlich zeigt, dass der Bote mindestens so wichtig ist wie die Botschaft selbst. Betrachten wir den Propheten Muhammad (sav) aus diesem Blickwinkel, so erkennen wir, dass er innerhalb der Gesellschaft, da er als besonders vertrauenswürdig galt, bereits vor der Botschaft al-Amin, (der Vertrauenswürdige) genannt wurde. Aus diesem Grund konnten die Menschen seine Botschaft nicht einfach zurückweisen und standen ihr unsicher gegenüber. Schließlich vergaben sie ihm Namen wie „Magier“ und „Zauberer“ und da sie sich nicht trauten, ihn der Lüge zu bezichtigen, nannten sie ihn einen „einfachen Menschen“ um so seinen Status infrage zu stellen. Sie vergaben seinen Botschaften abwertende Bezeichnungen wie „Menschenworte“ oder „die Legenden der Vergangenheit“, konnten jedoch auch damit seine Botschaft nicht infrage stellen.

Die Echtheit und Wahrheit einer Religion lässt sich an der Vertrauenswürdigkeit und Makellosigkeit ihres Boten erkennen. Ein Makel des, bzw. ein Zweifel am, Boten würde der Religion selbst schaden. Der Verfall der vorislamischen von Gott gesandten Religionen begann mit dem Zerfall der prophetischen Einrichtung. Die Gemeinschaft, die nach dem Tod des wahren Propheten (al-rasûl al-haq) ihre Eigenschaft als gute Gemeinschaft (hayırlı ümmet) verloren hatte, verzerrte auch die Botschaft des Propheten und vernichtete so die göttliche Beschaffenheit der Religion.

Christen und Juden, die Besitzer des Buches (ahl al-kitab), änderten den Status der Propheten und entstellten somit die Religion. Sie führten sogar die Gelehrten und Religionsautoritäten, welche die Lehren der Propheten befolgen sollten, in die Irre, was zur Folge hatte, dass nach Belieben das Verbotene (haram) erlaubt und das Erlaubte (halal) verboten wurde.

Es wird in mehreren Versen betont, dass der Prophet allein mit der Verkündung der Offenbarung beauftragt wurde und er keinerlei Verpflichtungen hatte, die Menschen zum Islam zu bekehren. Seine erste und vorrangige Aufgabe war es den Menschen die Wahrheit zu verkünden und sie über die Folgen ihrer Taten aufzuklären. Dies wird im folgenden Vers deutlich zum Ausdruck gebracht:

„Siehe, wir entsandten dich mit der Wahrheit als einen Freudenboten und Warner; und nicht wirst du nach den Bewohnern des Höllenpfuhls befragt werden.“ (al-Baqara, 2/119).

Neben dem Empfangen und der Weiterleitung der Offenbarungen an die Menschen waren die Propheten auch damit beauftragt gewesen, die heilige Botschaft vorzuleben. Aus diesem Grunde waren die Propheten (ausgewählte) Menschen. Es war für die Menschen einfacher, sich einem Gleichartigen zu nähern, der die Gefühle, Gedanken und wesentlichen menschlichen Bedürfnisse aus eigener Erfahrung kannte. Somit entstand zwischen dem Propheten und den Menschen, die der Botschaft gegenüberstanden, eine Art Meister-Schüler-Beziehung. Der Koran besagt: „... in dem Gesandten Allahs habt ihr ein schönes Beispiel ...“ (al-Ahzab, 33/21). Diese Beispielhaftigkeit zeigt den Menschen die Anwendung der heiligen Botschaft, die Praktizierung des Koran und sie bietet das notwendige Wissen bzw. die Methode diese Botschaft richtig anzuwenden; und eben dies ist die Sunna des Propheten. Man kann die Sunna folgendermaßen beschreiben:

Die Sunna ist die Methodologie, d. h. die Art und Weise des Propheten für die Realisierung der Offenbarung. Diese beinhaltet sämtliche Gebote der Religion, vom Gottesdienst (ibada) bis zu den Regeln der Moral. Der Prophet betonte seine Beispielhaftigkeit bezüglich des rituellen Gebets (salat-namaz) mit den Worten „Führt das rituelle Gebet wie ihr es an mir beobachtet“.[1]

Für die Verständlichkeit der Offenbarung und für die Festlegung ihrer Praktizierung bedarf es der Vermittlung des Propheten. Schließlich deutet auch Allah der Allmächtige auf diese Tatsache und befiehlt in mehreren Versen, dem Propheten zu folgen:

„Sprich: „O ihr Menschen, siehe, ich bin zu euch insgesamt ein Gesandter Allahs, des das Reich der Himmel und der Erde ist. Es gibt keinen Gott außer ihm; er macht lebendig und tot. Drum glaubet an Allah und seine Worte und folget ihm; vielleicht werdet ihr geleitet.“ (al-A'raf, 7/ 158).

Die Vernachlässigung der Sunna führt zu Uneinstimmigkeiten und Konflikten im Bezug auf den Koran oder gar zur Zerrüttung der Gemeinschaft; sie führt zu ausweglosen Debatten und auch dazu, dass eigene, selbstsüchtige Interessen der Gelehrten Geltung gewinnen, so wie es bei den Juden und Christen der Fall gewesen ist. Und ebenso kommt es zur Entartung der Religion und die heilige Botschaft wird als trockener Text aufgefasst. Dabei ist es der Prophet und später die Gelehrten, die seine Methoden befolg(t)en, welche diesem Text Leben verschaff(t)en. Und schließlich deutete Ali (ra), (40/ 661 n. Chr.), auf dieses Problem, indem er sagte: „Der Koran ist ein Buch, gebunden zwischen zwei Deckel. Er kann weder richten noch sprechen. Er braucht einen Übersetzer, der seinen Inhalt zum Ausdruck bringt. Und dies ist Aufgabe der Menschen.“ Er macht also darauf aufmerksam, wie wichtig es ist, dass es Menschen gibt, die den Koran richtig lesen und verstehen.

Vahiy Almada ve Uygulamada Hz. Peygamberin Rolü, Diyanet İlmi Dergi, Peygamberimiz Hz. Muhammed, Sonderausgabe, Ankara 2000

www.derletzteprophet.info/offenbarung-und-praxis-die-rolle-des-propheten (14.02.2011)

 

[1] Bukhari, Adhan 18; Abu Davud, Salat 46; Ahmed b. Hanbel, V, 53, 344