Die Hajj aus der Perspektive der Rechtswissenschaften

1. Pflichtbestandteile (Fard, pl. Farâ’id) der Hajj

1. Ihrâm: Weihezustand, während dessen denjenigen, die die Hajj vollführen, gewisse Dinge verboten sind, die ihnen ansonsten gestattet sind. Mit dem Fassen der Absicht, die Hajj zu vollführen und dem Aussprechen der Talbiyya tritt der Pilger ein in den Zustand des Ihrâm.

2. Wuqûf fî ´Arafât: wörtlich ‚das Stehen in ´Arafât’, bedeutet, sich für einen gewissen Zeitraum am neunten Tage des Monats Dhû l-Hijja, nach dem Sonnenhöchststand und vor der Morgendämmerung des folgenden ersten Tages des Opferfestes, in dem Gebiet von ´Arafât in der Nähe von Mekka aufzuhalten.

3. Tawâf: Das Umrunden der Ka´ba am ersten Tage des Opferfestes nach dem Tag von ´Arafât oder zu einem späteren Zeitpunkt bis zum Ende des Lebens. Dies innerhalb der ersten drei Tage des Opferfestes zu tun ist notwendig (wâjib), sollte es aber aus irgendeinem Grunde später geschehen, muss aus diesem Anlass ein (zusätzliches) Opfertier als Wiedergutmachung geopfert werden. Ausgenommen davon sind allerdings Frauen, die aufgrund von Menstruation oder Geburt den Tawâf aufschieben.

2. Vorbedingungen für die Hajj

1. Körperliche Gesundheit, in einem Maße, dass sie die Reise zur Hajj und die Ausführung der Riten erlaubt.

2. Freiheit von physischen Hindernissen, die verhindern, dass man zur Hajj fährt (z.B. Gefangenschaft).

3. Die Möglichkeit, den Weg zurückzulegen

4. Für Frauen eine männliche Begleitperson (Mahram), z.B. Ehemann oder männlicher Verwandter

5. Bei verwitweten oder geschiedenen Frauen muss die jeweilige Wartezeit nach dem Tod des Ehemannes bzw. der Scheidung beendet sein.

3. Notwendige Bestandteile (Wâjib) der Hajj

1. An einem der vorgeschriebenen Orte (Mîqât) den Ihrâm zu beginnen

2. Die während des Ihrâm untersagten Dinge zu unterlassen

3. Am Tage von ´Arafât bis zum Sonnenuntergang dort zu verweilen

4. Einen Teil der Nacht bis zum Sonnenaufgang am Morgen des ersten Tages des Opferfestes im Tal von Muzdalifa zu verbringen

5. Das Steinigen in Minâ

6. Das Opfern eines Opfertieres für diejenigen, die die ‚Tamattu´’ und ‚Qirân’ genannten Varianten der Hajj vollführen

7. Das siebenfache Umrunden der Ka´ba (Tawâf az-Ziyâra) zu vollenden

8. Dieses während der Tage des Opferfestes zu tun

9. Zusätzliches siebenfaches Umrunden der Ka´ba vor dem Verlassen Mekkas (Tawâf al-Wadâ´)

10. Während des Tawâf im Zustand ritueller Reinheit und vorschriftsmäßig gekleidet (wie beim Gebet) zu sein

11. Den Tawâf am Schwarzen Stein zu beginnen, dabei die Ka´ba zur linken Seite zu lassen und den Tawâf zu Fuß zu vollführen.

12. Nach Abschluss jedes Tawâf zwei Gebetseinheiten zu verrichten

13. Den Tawâf außerhalb des als Hijr Ismâ´îl bezeichneten Halbkreises zu verrichten

14. Sa´î: Siebenmaliges hin- und herlaufen zwischen Safâ und Marwâ

15. Den Sa´î von Safâ aus zu beginnen

16. Nach dem Steinigen in Minâ innerhalb des heiligen Gebietes von Mekka und während der ersten drei Tage des Opferfestes die Haare zu rasieren oder zu kürzen

4. Während des Ihrâm untersagte Dinge

1. Genähte Kleidung zu tragen (Dies gilt nur für Männer, Damen tragen normale Kleidung)

2. Sich dem anderen Geschlecht sexuell zu nähern; d.h. auch Küssen, Umarmen usw.

3. Wohlgerüche zu benützen oder (absichtlich) zu riechen

4. Jagdtiere zu jagen

5. Pflanzen oder Bäume abzuschneiden, abzubrechen oder auszureißen

6. Haare zu schneiden, auszureißen oder zu rasieren, Schneiden der Finger- oder Fußnägel

Ziyâra - der Besuch des Propheten in Medina

– Allah segne ihn und schenke ihm Frieden –

Wenn wir das Grab des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – in Medina besuchen, sollten wir wissen, dass dies der Ort ist, an dem unsere Liebe und unser Respekt für den Propheten wachsen und erblühen können. Er war der Einzige, der von Allah dem Erhabenen mit dem Beinamen ‚Habîbî’, ‚Mein Geliebter’, angesprochen wurde. Und im heiligen Qur’ân befiehlt Allah der Allmächtige uns in eindeutigen, klaren Worten, Ihn und Seinen Gesandten mehr zu ehren und zu lieben als alles andere in dieser Welt:

Sprich: ‚Wenn euch eure Väter und Söhne und eure Brüder und Frauen und eure Verwandten und das Vermögen, das ihr erworben habt und die Geschäfte, um deren Verlust ihr fürchtet, und die Wohnstätten, an denen ihr hängt, lieber sind als Allah und Sein Gesandter und der Einsatz für Seine Sache, dann wartet, bis Allah mit Seiner Entscheidung kommt.’ Und die Ungehorsamen leitet Allah nicht recht.” (9:24)

Qâdî ´Iyâd leitete aus diesem Vers ab, dass die Umma verpflichtet ist, Allah und Seinen Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – gleichermaßen zu lieben. Das heißt: nichts sollte uns lieber sein als Allahs Gesandter – Segen und Friede seien auf ihm –, weder unser Haus, noch unsere Familie, noch unsere Arbeit!

Aus diesem Grunde betrachtete Imâm Mâlik das Grab des ehrwürdigen Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – als noch heiliger als die Ka´ba, weil um seinetwillen alle Welten und die gesamte Schöpfung erschaffen wurde. Deshalb sollten wir nach der Pilgerfahrt unbedingt Medina besuchen und, indem wir diesen gesegneten Ort besuchen und den Duft seiner Erde aufnehmen, dem Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – demütig unseren Respekt erweisen. Und er selbst hat uns mitgeteilt:

„Wer mich nach meinem Tode besucht, es ist, als hätte er mich zu meinen Lebzeiten besucht!“[1]

So sollte man sich beim Besuch des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – äußerst respektvoll verhalten. Als einmal Imâm Mâlik in der Prophetenmoschee saß, kam der damalige Khalîf, Abû Jâ´far Mansûr, zu ihm, um ihm einige Fragen zu stellen. Dabei kam es zu einer Diskussion über einige Details des religiösen Gesetzes, in deren Verlauf Abû Jâ´far anfing, etwas lauter zu sprechen. Da warnte ihn Imâm Mâlik mit den Worten:

„O Khalîf, sprich hier nicht laut! Allah hat Andere, die vorzüglicher waren als du, davor gewarnt, hier ihre Stimme zu erheben und gesagt:

O ihr Gläubigen, erhebt nicht eure Stimmen über die Stimme des Propheten und sprecht nicht laut zu ihm, wie ihr untereinander sprecht, auf dass eure Werke nicht zunichtewerden, ohne dass ihr es bemerkt.“ (49:2)

Der Khalîf erkannte das vortreffliche Benehmen Imâm Mâliks in der Gegenwart des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – und fragte ihn:

„O Imâm, sollte ich mich während meines Bittgebetes hier in Richtung des Prophetengrabes oder in Richtung der Ka´ba wenden?“

Imâm Mâlik antwortete ihm:

„Wenn du in Medina bist, wende dich in Richtung des Prophetengrabes, denn die gesamte Schöpfung und auch die Ka´ba wurden um seinetwillen erschaffen und die gesamte Menschheit bedarf der Fürsprache des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden!“[2]

Manche Muslime ignorieren diese Tatsachen und versuchen, die Pilger davon abzuhalten, sich dem Prophetengrab zuzuwenden. Sie sagen:

„Grüße den Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – und geh weiter, dann wende dich zum Bittgebet der Ka´ba zu!“

Sie scheinen vollkommen zu vergessen, dass der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – lebendig ist. Im heiligen Qur’ân erfahren wir, dass die Märtyrer lebendig sind. Und genauso sind auch die Propheten, die eine höhere Stellung einnehmen als diese, lebendig. Und ganz besonders gilt dies für den Stolz der Welten, das Siegel der Propheten und den Besten der Geschöpfe, unseren Propheten, den Gesandten Allahs, unseren Meister Muhammad – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden –, der in ganz außergewöhnlicher Weise lebendig ist.

So ist das größte Geschenk, dass die Pilger mit zurück in ihre Heimatländer bringen können, die Reflektion der Schönheit der Heiligen Stätten, die sie in sich tragen. Sie sollten ihre Erinnerungen lebendig halten, indem sie die Tugenden, die sie auf dieser Reise kultiviert haben, bewahren und weitergeben, um derart denen, die die Pilgerfahrt noch nicht verrichtet haben, einen Ausblick und Vorgeschmack auf die wunderbaren spirituellen Erfahrungen an diesen heiligen Stätten zu ermöglichen.

Muhammad Iqbâl, der geistige Vater Pakistans, fragte einmal die Pilger bei ihrer Rückkehr von der Hajj:

„Ihr habt Medina al-Munawwara, die erleuchtete Stadt des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – besucht. Was habt ihr von dort, vom Markt der spirituellen Erfahrungen als Geschenke mitgebracht? Die materiellen Geschenke wie Kopftücher, Rosenkränze und Gebetsteppiche werden schnell vergessen sein! Was sind die spirituellen Geschenke, die ihr mitgebracht habt?

Zu den Geschenken, die ihr mitbringt, gehören die Hingabe und Wahrhaftigkeit des Abû Bakr, die Gerechtigkeit des Khalîfen ´Umar und die Großzügigkeit und Schamhaftigkeit ´Uthmân’s. Werdet ihr in der Lage sein, der Umma, die unter Tausenden verschiedener Schwierigkeiten und Probleme leidet, mit etwas Hoffnung aus dem ‚glückseligen Zeitalter’ des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – Mut zu machen?“

Wir bitten Allah, uns zu denen gehören zu lassen, die von den spirituellen Segnungen der Heiligen Stätten profitieren und Seinen geliebten Gesandten – Segen und Friede seien auf ihm – mit einem empfindsamen und in Liebe entflammten Herzen besuchen! Möge Allah uns ein Leben in Hingabe und Gottvertrauen gewähren! Möge Er allein unsere Zuflucht und unser Helfer sein! Möge Allah uns die Pflicht der Pilgerfahrt mit einem Herzen, das die Segnungen der Heiligen Stätten empfindet, vollführen lassen!

 

[1] Dâraqutnî, Sunan, II, 278

[2] Qâdî ´Iyâd, asch-Schifâ’

´Umra - die kleine Pilgerfahrt

Neben der, als ‚große Pilgerfahrt’ bezeichneten Hajj, die nur an bestimmten Tagen des Jahres durchgeführt werden kann, gibt es die ‚´Umra’ genannte ‚kleine Pilgerfahrt’, die zu jeder Zeit vollführt werden kann.

Bei der ´Umra entfallen der Besuch von ´Arafât, das Steinigen der Säulen in Minâ und das Opfern eines Opfertieres. Bei der ´Umra vollführt der Pilger nur die Umrundung der Ka´ba und das Laufen zwischen den Hügeln von Safâ und Marwâ.

Vom Geiste der Pilgerfahrt

Ein wichtiger Aspekt des Geistes des Islam kommt darin zum Ausdruck, dass in den Reihen des gemeinschaftlichen Gebets alle gleich sind. Wenn der Regierungschef verspätet zum Gebet in der Moschee erscheint, betet er in der letzten Reihe. Wenn ein armer Muslim frühzeitig zum Gebet erscheint, betet er in der ersten Reihe. Jeder muss dort beten, wo er einen freien Platz findet. Uniformen und Epauletten nützen in der Moschee nichts. Dieses Konzept der Gleichheit tritt während der Pilgerfahrt noch viel deutlicher in Erscheinung. So wie jeder einmal mit weißen Leichentüchern begraben wird, tragen auch die Pilger alle das gleiche Gewand und die Unterschiede in der Kleidung verschwinden dabei völlig. Das Maß an Gleichheit, das während der Pilgerfahrt in Erscheinung tritt, ist einmalig und wird ansonsten nur noch nach dem Tode erreicht, wenn das Staatsoberhaupt genauso, in weiße Leichentücher gehüllt, beerdigt wird, wie der ärmste Bettler. In dieser Weise spiegeln die Pilger, mit je einem weißen Tuch um den Oberkörper und um die Hüften gewickelt, den Zustand der Verstorbenen in ihren Gräbern wieder.

Wir sollten uns bewusst sein, dass der Tod für alle Lebewesen eine unausweichliche Tatsache ist. Die Dauer unseres Lebens ist mit solch vollkommener Präzision bestimmt, dass selbst die Anzahl unserer Atemzüge abgezählt ist. Der Zeitpunkt des Todes (Ajal) eines jeden Menschen ist bestimmt und unveränderlich. Wir haben nie davon gehört, dass irgendjemand je dem Tod entronnen ist. Und da der Zeitpunkt unseres Todes uns verborgen ist, sollten wir die Pflicht der Pilgerfahrt auf keinen Fall unnötig aufschieben. Der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – hat uns vor solchem Verhalten eindringlich gewarnt, als er sagte:

„Wenn jemand stirbt, ohne die Pilgerfahrt vollführt zu haben, obwohl ihm die dazu notwendigen Dinge, wie Essen, Trinken und Transport, zur Verfügung standen, wird er den Tod eines Juden oder Christen sterben.“[1]

Diese Worte des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – richten sich an all die achtlosen Muslime, die, obwohl sie dazu in der Lage wären, nicht dem Gebot Allahs folgen und die Pilgerfahrt verrichten. Sie sind eine ernstzunehmende Warnung vor der göttlichen Strafe, die ein solches Verhalten im Jenseits nach sich ziehen kann, denn Nachlässigkeit beim Erfüllen dieser Pflicht stellt eine klare Missachtung eines göttlichen Gebotes dar.

Die Hajj einmal im Leben zu vollführen ist Pflicht für jeden, der dazu in der Lage ist. Deshalb ist es ein schwerer Fehler, nicht auf die Pilgerfahrt zu gehen, obwohl es einem möglich ist und darum sagte Allahs Gesandter – auf ihm seien Segen und Friede:

„Wer die Hajj zu verrichten hat, soll sich damit beeilen!“[2]

Das Haus Allahs ist voller Hinweise auf Ibrahim – Friede sei mit ihm – und Erinnerungen an das vollkommene Gottvertrauen und die Hingabe an Allah, die ihn und seine Angehörigen auszeichneten. Bei der Erwähnung von Worten wie Gottvertrauen, Hingabe und Pilgerfahrt kommen uns als erstes der Gedanke an Ibrahim und Ismâ´îl – mit ihnen sei der Friede Allahs – und ihre Namen ins Gedächtnis. Ihre Aufrichtigkeit bildete das Fundament, von dem aus die Pilgerfahrt zu einer Glaubenspflicht erhoben wurde, die bis zum letzten Tage dieser Welt bestehen wird.

Das Wort für Gottvertrauen im Arabischen, ‚Tawakkul’, bedeutet: ‚sich auf jemanden verlassen’; ‚volles Vertrauen haben’; ‚jemanden zum Sachwalter machen’; ‚mit der Vertretung beauftragen’. Im Sufismus bezeichnet es den Zustand desjenigen, dessen Herz vollkommen von Allah erfüllt ist, so dass er nur auf Ihn vertraut und nur bei Ihm Zuflucht sucht. Als Allah den Propheten Mûsâ – Friede sei mit ihm – bezüglich seines Stockes fragte, sagte dieser: „Dies ist mein Stock, ich stütze mich darauf...“

Da befahl ihm Allah: „Wirf ihn hin!“

Denn sein Sich-Stützen auf den Stock überschattete sein vollkommenes Sich-Verlassen auf Allah, den Allmächtigen.

Und an mehreren Stellen sagt Allah ihm heiligen Qur’ân:

Und auf Allah sollen die Gläubigen vertrauen.“ (9:51; 14:11)

und: Und wer auf Allah vertraut, für den ist Er genüge.“ (65:3)

Der Prophet – Allah segne ihn uns schenke ihm Frieden – sagte:

„Wenn ihr völlig auf Allah vertrautet, würde Er euch versorgen so wie Er die Vögel versorgt, die morgens hungrig ihr Nest verlassen und abends gesättigt zurückkehren.“[3]

Gottvertrauen bedeutet jedoch nicht, das Notwendige zu unterlassen oder die Gesetzmäßigkeiten von Ursache und Wirkung außer Acht zu lassen, sondern, nachdem man getan hat, was einem richtig und notwendig scheint, auf Allah zu vertrauen, anstatt sich allein auf die eigenen Handlungen und Mittel zu verlassen, ohne die Allmacht und den Willen Allahs zu berücksichtigen. Stattdessen sollte der Diener seine Zuflucht und Unterstützung stets bei Allah suchen.

Allah der Allmächtige sagt:

... und berate dich in der Sache mit ihnen und wenn du einen Entschluss gefasst hast, dann vertraue auf Allah! Wahrlich, Allah liebt diejenigen, die auf Ihn vertrauen.“ (3:159)

Allah ist der Helfer der Gläubigen in dieser Welt und im Jenseits. Wer ganz auf Ihn vertraut, für dessen Bedürfnisse sorgt Er voll und ganz. Wahre Freude und Glückseligkeit liegen, sowohl im persönlichen wie auch im gesellschaftlichen Bereich, in der Hinwendung zu Ihm, im Erbitten Seiner Hilfe und im Vertrauen auf Ihn.

Das von dem Verb ‚salima’ abgeleitete arabische Wort für Hingabe, ‚Taslimiyya’, drückt Unterwerfung und ein Unterstellen des Willens unter den übergeordneten Willen Allahs sowie ein bereitwilliges und freudiges Akzeptieren der Bestimmung Allahs aus.

Der Prophet Ibrahim – Friede sei auf ihm – hatte sein Herz mit der Liebe Allahs erfüllt. Als die Engel Allah fragten, wie denn Ibrahim ‚Khalîlullah’, der ‚enge Freund Allahs’, sein könne, wo er doch ein irdisches Leben, Besitz und eine Familie besäße, die ihn beschäftigten, demonstrierte Allah den Engeln Ibrahims vollkommene Hingabe, indem er ihn drei verschiedenen Prüfungen unterzog.

Die erste Prüfung betraf sein eigenes, irdisches Leben. Als er ins Feuer geworfen werden sollte und die Engel herbeieilten, um ihn zu retten, weigerte er sich, ihre Hilfe anzunehmen und sagte:

„Ich brauche eure Hilfe nicht! Wer ist es, der dem Feuer die Kraft zum Verbrennen gab? Allah ist der beste Helfer!“

Auf diese Weise suchte er seine Zuflucht ausschließlich bei Allah. Als Lohn für seine aufrichtige Hingabe an Allah befahl der Allmächtige:

O Feuer, sei Kühle und Frieden für Ibrahim!“ (21:69)

In der zweiten Prüfung wurde er bezüglich seines Besitzes geprüft. Der Engel Jibrîl erschien ihm in Gestalt eines Mannes und bat ihn dreimal im Namen Allahs um einen Teil seiner Herde. Ibrahim – Friede sei mit ihm – antwortete ihm:

„Nimm’ diese Tiere, sie gehören dir!“

So bestand er auch die Prüfung hinsichtlich der Aufgabe seines Besitzes um Allahs willen mit Erfolg.

Die dritte Prüfung schließlich, hinsichtlich seiner Familie, bestand in dem göttlichen Befehl, seinen Sohn zu opfern.

Wahre Dienerschaft gegenüber Allah besteht in nichts anderem als völliger Hingabe an Ihn. Doch die Basis echter Hingabe besteht in Liebe und Gehorsam. Das beste Beispiel solcher, auf Liebe beruhender, Hingabe finden wir in Ibrahim – auf ihm sei der Friede Allahs. Weder sein eigenes Leben, noch sein Besitz, noch seine Familie hinderten ihn daran, aus vollkommener Hingabe an Allah dessen Gebote und Befehle zu erfüllen. Als Lohn für seine Aufrichtigkeit werden bis zum Jüngsten Tag die Riten der Pilgerfahrt, die Symbole seiner Hingabe an Allah und seines Gottvertrauens sind, im ehrwürdigen Gedenken an ihn vollführt. Seine Zunge verlieh dem andauernden Zustand seines Herzens Ausdruck, indem sie ständig die Worte wiederholte:

„Ich habe mich (ganz) dem Herrn der Welten ergeben!“ (2:131)

Zusätzlich zum Vorbild Ibrahims und Ismâ´îls – der Friede sei mit ihnen –, die beispiellose Opferbereitschaft und Hingabe an Allah demonstrierten, lehrte uns der Prophet Muhammad – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – während seiner Abschiedspilgerfahrt die Grundlagen und Einzelheiten der Pilger-Riten. Im Besonderen seine Abschiedspredigt, die er bei dieser Gelegenheit hielt, enthält die Richtlinien für sämtliche Generationen von Pilgern bis zum Jüngsten Tag. In dieser Ansprache legte er die grundlegenden Rechte und Pflichten der Muslime dar und festigte ihre Reihen durch Liebe und Barmherzigkeit.

Diejenigen, die auf die Pilgerfahrt gehen, sollten sich darauf sowohl spirituell als auch materiell vorbereiten. Gottvertrauen bedeutet nicht, sich ohne Reisevorbereitungen zur Pilgerfahrt aufzumachen. Zur Zeit des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – gingen einige der Jemeniten auf Hajj, ohne solch grundlegende Dinge wie Reiseproviant und Trinkwasser mitzunehmen. Sie sagten: „Wir vertrauen ganz auf Allah!“ Als sie dann Mekka erreichten, waren sie gezwungen, zu betteln, weil sie nichts zu essen hatten. Um vor einem derartigen falschen Verständnis von Gottvertrauen zu warnen, wurde der folgende Qur’ânvers offenbart:

Und sorgt für die Reise vor! Und wahrlich, die beste Vorsorge ist Gottesfurcht. Und fürchtet Mich, o die ihr Einsicht besitzt!“ (2:197)

Wie dieser Vers deutlich zeigt, braucht ein Gläubiger auf seiner Reise zu den Heiligen Stätten beide Arten von Versorgung. Er braucht materielle Versorgung, wie zum Beispiel ausreichend zu essen, und spirituelle Versorgung, wie Hingabe, Geduld und dergleichen. Nur derjenige, der sein Herz von jeglicher Krankheit befreit, wird dies wirklich erreichen können. Nur ein solches, gereinigtes Herz ermöglicht uns, die Wirklichkeit der Gottesdienste und insbesondere der Pilgerfahrt, in ihrem vollen Umfang zu erfassen, wie aus der folgenden Geschichte, die Rûmî überliefert, deutlich wird:

„Der Meister Abû Yazîd al-Bistâmî, eine der bedeutendsten Persönlichkeiten in der Geschichte der Muslime, war auf dem Weg zu den Heiligen Stätten, um die Hajj und die ´Umra (kleine Pilgerfahrt) zu verrichten. In jeder Stadt auf seinem Wege suchte er nach den rechtschaffenen Gottesdienern (Salihîn), indem er umherging und die Leute fragte:

‚Gibt es in dieser Stadt jemanden, der mit dem inneren, geistigen Auge (Basîra) sieht?’

Er tat dies in dem Verständnis, dass er, wo immer er hinkam, nach Heiligen suchen sollte, gemäß dem Befehl Allahs:

So fragt die Leute des Gedenkens (Dhikr), wenn ihr (etwas) nicht wisst!“ (21:7)

Dies war der Grund dafür, dass Allah dem Propheten Mûsâ befohlen hatte, Khidr – Friede sei mit ihnen beiden – aufzusuchen, der spirituelles Wissen besaß. Und ebenso suchte Abû Yazîd nach dem Khidr seiner Zeit. Eines Tages entdeckte er einen Scheikh von großer Statur, der mit der spirituellen Ausstrahlung eines Heiligen wie der neue Mond am Himmel leuchtete. Seine Augen waren der Welt gegenüber blind, doch sein Herz strahlte hell wie die Sonne am Firmament. Abû Yazîd setzte sich ihm gegenüber und der Scheikh fragte ihn:

‚O Du, wohin führt dich dein Weg? Wohin schleppst du dein Gepäck (deinen Körper)?’

 Abû Yazîd antwortete:

‚Ich beabsichtige, die Hajj zu verrichten und habe dafür 200 Dirham bei mir.’

Da sagte der Scheikh zu ihm:

‚O Du, gib etwas von diesem Betrag weltlichen Besitzes auf dem Wege Allahs den Armen und Bedürftigen! Geh’ ein in ihre Herzen, dann werden sich dir die Horizonte der Seele eröffnen! Erwirb ewiges Leben! Vollführe zuerst die Pilgerfahrt der Seele, dann reise weiter mit geläutertem Herzen!

Denn die Ka´ba ist das Haus Allahs, dass zu besuchen Er zur Pflicht gemacht hat, doch das Herz des Menschen ist eine Schatzkammer voller Geheimnisse...

Die Ka´ba ist das Gebäude, das Ibrahim, der Sohn des Âzar, errichtet hat, das Herz hingegen ist der Ort, auf dem die Blicke Allahs, des Majestätischen und Größten ruhen.

Wenn du mit dem inneren, geistigen Auge siehst, umrunde die Ka´ba des Herzens! Das Herz ist die Ka´ba des Körpers, der aus Lehm erschaffen ist. Allah hat uns befohlen, die äußerlich sichtbare, an ihrer Form zu erkennende, Ka´ba zu umrunden, um zur inneren Ka´ba des von allem Unreinen geläuterten Herzens zu gelangen...

Wisse, dass du, selbst wenn du zu Fuß die gesamte Pilgerfahrt verrichtest, damit nicht die Sünde wieder gutmachen kannst, ein Herz, auf welchem die göttlichen Blicke ruhen, zu brechen...

Der vervollkommnete Mensch ist eine Schatzkammer des Allmächtigen.

Wenn du die Erscheinungen des göttlichen Lichtes sehen willst, darfst du dich nicht den Prüfungen entziehen, die nötig sind, um dein inneres, geistiges Auge zu öffnen!’“

Abû Yazîd nahm sich die kostbaren Ratschläge des Scheikhs zu Herzen. Sein Inneres war durch diese weisen Worte von göttlicher Gnade und Barmherzigkeit erfüllt und nun konnte er seine Pilgerfahrt in einem Zustand inneren Friedens fortsetzen.

Durch diese Art schöner Beispiele führt Rûmî die Herzen zur Wirklichkeit der Pilgerfahrt und wendet sich an die, die beabsichtigen, die Hajj zu vollführen:

„Wenn die Zeit der Pilgerfahrt gekommen ist, geh’ hin in der reinen Absicht, die Ka´ba zu besuchen und zu umrunden! Wenn du mit dieser Absicht gehst, wirst du die Wirklichkeit Mekkas seh’n.“

Rûmî wählt das Beispiel der Pilgerfahrt aus, weil sie eine besonders subtile Form des Gottesdienstes darstellt. Viele der Dinge, die ansonsten erlaubt sind, gelten während der Pilgerfahrt als verboten. Deshalb sollte der Pilger sich zuerst in seinem Herzen auf diese schwierige Pflicht vorbereiten. Vom ersten Augenblick, in dem jemand beabsichtigt, die Pilgerfahrt zu vollführen, versucht Schaytân mit allen Mitteln, deren Wert zunichte zu machen. Die Reise zur Pilgerfahrt scheint leicht und voller Freuden, doch in Wirklichkeit ist sie voller Schwierigkeiten. Das Gleiche gilt für die verschiedenen Riten der Pilgerfahrt, weshalb der Pilger sich mit viel Geduld und Ausdauer im Ertragen von Ungemach wappnen muss. Auf seinen Lippen sollte deshalb stets die Bitte sein: „O Allah, o mein Herr, mach es mir leicht!“

Und immer wieder sollten wir das Motto der Pilgerfahrt, die Talbiyya, rufen:

„Labbayk Allahumma labbayk!

Labbayka lâ Scharîka laka labbayk!

Inna l-Hamda wa n-Ni´mata laka wa l-Mulk!

Lâ Scharîka lak!“[4]

Wenn wir die Worte der Talbiyya rufen, sollten wir uns damit auch immer bewusst machen, dass wir Gäste Allahs sind, die Seiner Einladung nachkommen. Und wir bestätigen damit, dass Allah im Reich der Himmel und der Erde keinen Partner hat und wir versprechen Ihm auf diese Weise, den Versuchungen Schaytâns und unseres Egos zu widerstehen.

Andernfalls, wenn wir die Pilgerfahrt in Achtlosigkeit vollführen, ohne uns an die genannten Prinzipien zu halten, wird sie für uns letztendlich ohne jeden Nutzen sein. Im Besonderen gilt dies für diejenigen, die ihre Reise zu den Heiligen Stätten aus unzulässigen Einkünften finanzieren, die in Verletzung der grundlegenden Regeln des Islam erworben wurden. Das heißt, kein Gottesdienst darf auf der Grundlage von illegal erworbenem Einkommen aufgebaut sein. In einem solchen Falle würde sich die Bedeutung der Worte „Dir zu Diensten“ in ihr Gegenteil verkehren, weil die wichtigsten, grundlegenden Bedingungen der Pilgerfahrt verletzt wurden.

Es ist unbestritten, dass die wichtigste Regel für die Pilgerfahrt darin besteht, dass diese aus legalen, das heißt, im Sinne des Islam rechtmäßig erworbenen, Mitteln finanziert wird. An zweiter Stelle folgt dann die Aufrichtigkeit der Absicht im Herzen. Bei jeder Talbiyya sollte das Herz des Pilgers in Flammen stehen. Nur so kann sich ein Gläubiger wirklich seinem Herren nähern. Leere Worte, die nicht ernst gemeint sind, bleiben ohne Nutzen. Das Gesicht Husayn’s, des ehrwürdigen Enkels des Propheten – der Segen und Friede Allahs seien auf ihm und seiner Familie – wurde jedes Mal bleich, wenn er „Labbayk“ sagte, aus Furcht davor, dass Allah ihm vielleicht mit „Lâ labbayk“ antworten könnte.

Möge Allah uns unsere Pilgerfahrt mit Körper und Seele vollführen lassen!

Âmîn!

Die Riten und Erfahrungen der Pilgerfahrt führen den Menschen hin zur Barmherzigkeit und einem spirituelleren Leben. In dem ‚Ihrâm’ genannten Weihezustand, der äußerlich durch das Tragen der weißen Tücher deutlich wird, soll der Pilger alle Arten von Grobheit und ungehobelten Verhaltensweisen ablegen. Er wird zu einem freundlicheren Wesen, dem das Jagen von Tieren und selbst das Ausreißen von Pflanzen oder Abrechen grüner Zweige, geschweige denn anderen Geschöpfen Leid zuzufügen, aufs Strengste untersagt sind.

Allah der All-Erhabene sagt im heiligen Qur’ân:

Für die Hajj sind bekannte Monate bestimmt. Wer sich darin zur Hajj entschlossen hat, enthalte sich des Geschlechtsverkehrs und begehe keinen Frevel und führe keine üble Rede während der Hajj. Und was ihr an Gutem tut, Allah weiß es. Und sorgt für die Reise vor! Und wahrlich, die beste Vorsorge ist Gottesfurcht. Und fürchtet Mich, o die ihr Einsicht besitzt!“ (2:197)

Die Pilger dürfen nicht streiten oder jemanden verletzen und sind gehalten, sich um ihres Schöpfers, Allahs des Allmächtigen willen, freundlich und zuvorkommend zu verhalten. Besonders das Herz eines Gläubigen zu verletzen gilt als große Sünde. Deshalb verzichtete der Khalîf ´Umar während der Zeit der Hajj lieber darauf, während der Umrundungen der Ka´ba den Schwarzen Stein zu küssen, um nicht versehentlich im Gedränge jemanden zu kränken oder zu verletzen. Mit dem Anlegen des Pilgergewandes wandelt sich der Zustand des Gläubigen, er lässt sein gewöhnliches, alltägliches Benehmen hinter sich und findet hin zu einem spirituell geprägten Verhalten. Das weiße Gewand erinnert ihn an den Tod und das Leichentuch, in das er einst gehüllt werden wird. So verbringt er seine Zeit im Nachdenken über den Tod und wie er ihm gegenübertreten wird. Mit all ihren subtilen Riten lässt die Pilgerfahrt den Menschen die höchste Stufe erreichen, die im Qur’ân mit den Worten beschrieben wird:

Gewiss haben Wir den Menschen in der vorzüglichsten Form erschaffen.“ (95:4)

Und der Prophet – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – verkündete den Pilgern die frohe Botschaft:

„Die Hajj und die ´Umra (kleine Pilgerfahrt), reinigen den Pilger so, wie die Säure des Goldschmieds Gold und Silber reinigt.“[5]

Und er sagte – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden:

„Wer um Allahs willen die Hajj vollführt und dabei keinen Geschlechtsverkehr ausübt und nichts Übles tut oder sündigt, wird (so rein) zurückkehren, wie ein neugeborenes Kind aus dem Mutterschoß.“[6]

Diese frohe Botschaft gilt all denjenigen, die ihre Pilgerfahrt in solcher Weise vollführt haben, dass sie von Allah angenommen wurde, was im Arabischen mit den Worten ‚al-Hajj al-mabrûr’ bezeichnet wird. Mit dem damit erworbenen Rang sind darüber hinaus folgende Tugenden und Eigenschaften verbunden:

1. Verantwortungsgefühl

2. Ein verzeihendes Naturell

3. Reinheit des Körpers und der Handlungen

4. Brüderlichkeit

5. Das Bewusstsein, dass die Vorzüglichkeit eines Menschen allein auf Gottesfurcht beruht

6. Rechtmäßiger Erwerb des Lebensunterhalts

7. Aufrichtigkeit

Aus diesen Gründen ist die Pilgerfahrt mehr als nur eine Form des Gottesdienstes. Sie stellt für den Menschen eine Chance dar, seine positiven Fähigkeiten weiterzuentwickeln. So trägt die Pilgerfahrt zu einer Verbesserung der gesellschaftlichen, ethischen und politischen Verhältnisse der Umma bei. Mehr als irgendeine andere Form von Gottesdienst lehrt sie die Menschen den universellen Aspekt des Islam.

Auf der persönlichen Ebene eröffnet die Pilgerfahrt dem Gläubigen die Chance, in der Begegnung mit Anderen seine Handlungen und Verhaltensweisen einzuschätzen und Fehler für die Zukunft zu korrigieren.

Die Hajj einmal im Leben zu verrichten ist Pflicht. Jedoch genau wie man zusätzliche, freiwillige Gebete verrichten kann, ist es auch möglich, darüber hinaus weitere, freiwillige Pilgerfahrten zu vollführen.

Manche Muslime sind der irrigen Ansicht, mehr als einmal zur Pilgerfahrt zu gehen, sei eine Verschwendung von Zeit und Geld. Derartige Behauptungen grenzen stark an Unglauben und können nur von Leuten stammen, die den Sinn der Hajj und das ihr innewohnende Potential zu positiven Veränderungen nicht begriffen haben.

Vom glücklichen Zeitalter des Propheten an – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – haben die Muslime immer voller Liebe und Hingabe freiwillige Formen des Gottesdienstes verrichtet. Und gerade diese sind es, die den Diener Allah näher bringen, wie in dem wohlbekannten Hadîth überliefert ist. Diese freiwilligen Handlungen sind es, die der Seele tiefe Erfahrungen und Einsichten vermitteln. Durch sie wird der Muslim großzügiger und barmherziger. Für die, die sich ganz dem freiwilligen Gottesdienst verschreiben gilt: Allah wird so zu ihren Augen, mit denen sie sehen, zu ihren Ohren, mit denen sie hören und all ihre Gedanken und Taten werden von Seinem göttlichen Licht geleitet.

Diese spirituelle Entwicklung wird durch freiwilligen Gottesdienst und Barmherzigkeit gegenüber den Geschöpfen Allahs erreicht. Der berühmte, als ‚Imâmu l-A´zam’‚ das heißt ‚größter Imâm’, des Islam bezeichnete Gelehrte Abû Hanîfa verrichtete 55 Pilgerfahrten. Diese Tatsache an sich sollte wohl genügen, um die Bedeutung der Pilgerfahrt zu unterstreichen.

 

[1] Tirmidhî, Hajj, 3

[2] Jam´ al-Fawâ’id, II, 77

[3] Tirmidhî, Zuhd, 33

[4] Zu Deutsch: „Dir zu Diensten, o Allah, Dir zu Diensten! Dir zu Diensten, der Du keinen Partner hast, Dir zu Diensten! Wahrlich der Lobpreis und die Segnungen sind Dein und die Herrschaft! Du hast keinen Partner!“

[5] Nasâ’î und Tirmidhî

[6] Bukhârî, Hajj, 596

Die Errichtung der Ka´ba

Wie überliefert wird, trafen Adam und Hawâ – Allahs Friede sei auf ihnen beiden –, nachdem sie bei ihrer Vertreibung aus dem Paradies getrennt worden waren, bei Arafât wieder zusammen und wanderten von dort aus gemeinsam in Richtung Westen. Sie gelangten an den Ort, an dem heute die Ka´ba steht. Um seiner Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen, betete Adam – Friede sei mit ihm – an dieser Stelle und bat Allah, ihm jene Säule des Lichtes wiederzugeben, an der er Ihn im Paradies verehrt hatte. Daraufhin erschien die Säule aus Licht und Adam – Friede sei auf ihm – betete Allah an, indem er sie umschritt.

Diese Säule aus Licht verschwand zu Zeiten des Propheten Schîth – auf ihm sei der Friede Allahs – und ein schwarzer Stein blieb zurück. Schîth – Friede sei mit ihm – errichtete an der gleichen Stelle ein viereckiges Gebäude und baute den schwarzen Stein in eine der Ecken ein. Bei dem uns heute als ‚Hajaru l-aswad’ bekannten Stein handelt es sich um diesen schwarzen Stein. Nach der großen Flut zur Zeit des Propheten Nuh (Noah) – auf ihm sei der Friede – war diese erste, von Schîth errichtete, Ka´ba für lange Zeit unter dem Sand begraben.

Viel später erst siedelte Ibrahim – auf ihm und seiner Familie sei der Friede Allahs – auf Allahs Geheiß seine Frau Hâjar und ihren Sohn Ismâ´îl an diesem Ort an. Gemeinsam mit seinem Sohn Ismâ´îl machte Ibrahim – Friede sei mit ihnen – das Fundament des ersten Tempels ausfindig und errichtete die Ka´ba darauf von Neuem. Als sie die Arbeit beendet hatten, betete er, wie im Qur’ân berichtet wird, zu Allah:

Mein Herr, mach dies zu einem sicheren Ort und gib Früchte denen, die dort wohnen, wer von ihnen an Allah glaubt und den Jüngsten Tag...“ (2:126)

Es lässt sich leicht feststellen, dass infolge dieses Bittgebets die meisten Menschen in Mekka sowohl die Süße des Glaubens, als auch den Wohlgeschmack der Früchte genießen.

Die Ka´ba wurde insgesamt elf Mal errichtet: Das erste Mal von den Engeln, das zweite Mal von Adam, das dritte Mal von Schîth, das vierte Mal von Ibrahim – der Friede Allahs sei mit ihnen allen. Das fünfte Mal von dem Stamme der Amâlika, das sechste Mal vom Stamme der Jurhumî, das siebte Mal von Qusay, dem Führer der Mekkaner, das achte Mal von den Quraysch, das neunte Mal von ´Abdullah ibn Zubair, zur Zeit der ersten Generation nach dem Propheten Muhammad – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden. Das zehnte Mal von Hajjâj ibn Yûsuf, genannt Hajjâj az-Zâlim, das elfte Mal schließlich von dem osmanischen Sultan Murâd IV.

Die Osmanen besaßen ein hohes Maß an Ehrfurcht und Respekt für die Heiligen Stätten. Ihr daraus resultiertendes vorzügliches Benehmen wurde einmal in besonders schöner Weise während der Herrschaftszeit Murâd IV. deutlich, als die Ka´ba überflutet und ihre Wände stark beschädigt wurden. Der oberste Hofarchitekt, Ridwân Agha, wurde nach Mekka geschickt, um die Restaurierungsarbeiten zu leiten. Nachdem er den Zustand des Gebäudes gründlich geprüft hatte, legte er seinen Untersuchungsbericht vor. Aus Respekt vor der Ka´ba, dem ‚Haus Allahs’, schämte er sich zu sagen, dass die Wände eingestürzt seien und schrieb:

„Einige Wände der Ka´ba haben sich in Sajda begeben.“

Bei den folgenden Restaurierungsarbeiten wurde dann sogar mit größter Sorgfalt dafür gesorgt, dass die Ausscheidungen der Lasttiere nicht den Boden des Heiligtums beschmutzten.

All dies macht deutlich, welch großen Respekt die Osmanen den Heiligen Stätten zollten. Bereits in der Hauptstadt begann diese Haltung der Ehrfurcht, indem der erste Ort jenseits des Bosporus, an dem die Pilger auf dem Weg nach Mekka landeten, Haram, was soviel heißt wie ‚heiliger Ort’, genannt wurde, weil dieses Stückchen Land die Verbindung zu den Heiligen Stätten darstellte. Und dementsprechend benahmen sie sich bereits an diesem Ort so, wie man sich an den Heiligen Stätten zu verhalten hat. Sie ließen es keinesfalls zu, dass irgendjemand sich auf dem Weg zur Ka´ba respektlos verhielt.

Ein außerordentlich beeindruckendes Beispiel für diese Einstellung der Osmanen zu den Heiligen Stätten finden wir in dem Dichter Nâbi:

Im Jahre 1678 n. Chr. machte er sich in Begleitung einer großen Gruppe wichtiger Persönlichkeiten zur Pilgerfahrt auf. Als sie einmal Rast machten, sah er, wie ein hochrangiger Offizier seine Füße in Richtung Medina al-Munawwara, der Stadt des Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden –, ausstreckte. Im Orient gilt es als Zeichen von großer Respektlosigkeit, jemandem seine Füße entgegenzustrecken. Nâbi war angesichts des achtlosen Verhaltens dieses Offiziers so bedrückt, dass er die folgenden Zeilen verfasste:

„Hüte dich vor der Achtlosigkeit,

dies ist der Ort des Lieblings Gottes,

es ist der Ort auf dem göttliche Blicke ruh’n,

die Stätte Mustafas!

O Nâbi, nähere dich diesem Orte mit vollkommenem Respekt,

denn diese Stätte wird umkreist von Engeln

 und geküsst von Propheten!“

Als die Karawane sich Medina kurz vor der Zeit des Abendgebets näherte, hörte Nâbi zu seinem großen Erstaunen, wie der Muezzin auf dem Minarett eben diese Worte rezitierte. Er war sehr aufgeregt und fragte sich, wie dies denn sein könne, wo er diese Zeilen doch erst in der Nacht zuvor gedichtet und sie auch keinem Menschen vorgetragen hatte.

Als er schließlich den Muezzin ausfindig gemacht hatte, fragte er ihn:

„Wo hast du diesen Lobgesang gelernt?“

Der Muezzin antwortete ihm:

„Letzte Nacht sah ich den Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – im Traum und er sagte zu mir: ‚Von meiner Ummah wird ein Dichter kommen, um mich zu besuchen. Sein Herz ist ganz erfüllt von Liebe zu mir. Um dieser Liebe willen heiße ihn, wenn er die Stadt erreicht, mit diesem, seinem eigenen Gedicht willkommen.’ So haben wir diese Zeilen von ihm gelernt und seinem Befehl gehorcht.“

Wie wir aus dieser Geschichte lernen können, besteht das Wichtigste bei den Pilger-Riten darin, dem heiligen Propheten – Allah segne ihn und schenke ihm Frieden – und dem Hause Allahs mit höchstem Respekt zu begegnen.

Die Ka´ba, das ‚Haus Allahs’, ist seit den Zeiten Adams – Friede sei mit ihm –, des ersten Menschen und Propheten, stets ein heiliger Ort gewesen. Im edlen Qur’ân wird uns deshalb befohlen, die besonderen Rituale beim Besuch dieser Stätten einzuhalten:

Wahrlich, das erste Haus, das für die Menschen (zum Gottesdienst) errichtet wurde, ist das in Bekka - gesegnet und eine Leitung für die (Bewohner aller) Welten. Darin sind deutliche Zeichen - die Stätte Ibrahims. Und wer es betritt, ist in Sicherheit. Und der Menschen Pflicht gegenüber Allah ist die Pilgerfahrt zum Hause (Allahs), für den, der dazu in der Lage ist. Wer aber ungläubig ist - wahrlich, Allah ist nicht auf die Welten angewiesen“ (3:96-97)

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